Mutter – Text und Musik

Es soll ja Menschen geben, die noch nie einen, oder schon lange keinen Mutter-Song mehr gehört haben. Solche Menschen möchte ich nicht um mich haben, aber leider kann man es sich manchmal nicht aussuchen, mit wem man verkehren muss oder wer diese Drohung womöglich liest. Allen sei gesagt: Nach zwei Zeilen Max Müllers ist man voll im Thema, Fan und für immer verloren.
Mutter sind musikalischer geworden. Verzerrte Gitarren lösen sich mit akustischen ab. Breaks und C-Teile umspielen ein Grundthema mit Leichtigkeit und Schönheit. Ein Instrumental-Stück zeigt, dass man auch ohne die sehr guten Texte Müllers existieren kann.
Die Berliner mischen ihren Rock mit Pop, Krach und Geigen. Max Müller „sang“ wohl noch nie so schön. Seine zweite Stimme scheppert wunderbar druckvoll aus dem Off.
Mutters Welt hat sich nicht groß verändert. Es gibt Platz für jeden und keinen. Immer noch müssen wir gegen die Anderen antreten. Dummheit regiert das Treiben. Alles zerplatzt in den Hirnen zufriedener Großstädter. Eigene Unzulänglichkeiten werden aufgedeckt. Gehören wir doch nicht mehr dazu? Sind wir auch die, die im Abseits stehen? Ich dachte, wir kämpfen gegen die, die Menschen stigmatisieren, ausbeuten und entmenschlichen? Oder spielen wir genau denen in die Hände?
Müller steckt seinen nimmermüden Zeigefinger in die Wunden unserer Gesellschaft, unserer Gefühle. Hass und Liebe, Gleichgültig- und Ausweglosigkeit wimmern um die Wette. Die Produktion ist geradezu luftig geraten. Florian Koerner von Gustorf darf sogar mal grooven. Früher zählte er schnell an, um dann den Slow-Doom zu hämmern. Refrains werden gerne voller Traurigkeit wiederholt. Die Brutalität der Anfangstage und die auf den Meilensteinen Du bist nicht mein Bruder und Ich schäme mich Gedanken zu haben, die andere Menschen in ihrer Würde verletzen ist ein wenig verflogen, da man ja nicht auch musikalisch noch die Keule schwingen muss, wenn einem schon die Texte Herzen rausreißen.
Wie schon bei Hauptsache Musik. Doch Text und Musik lässt sich Türen der Dissonanz offen.

Foto von Christian Werner
Foto von Christian Werner

Müller schickt mich in eine nächste Depression. Gibt es überhaupt noch Hoffnung oder ist alles kaputt? Text und Musik ist neben Libertatia von Ja, Panik das deutschsprachige Highlight 2014. Mutter klangen noch nie so sehr nach Blumfeld oder klangen Blumfeld eigentlich immer schon nach Mutter? Ich erinnere mich an ein Popkomm-Jahr als Mutter in Köln auftraten. Müller lag im Underground kreischend auf dem Bühnenboden, die Zuschauer hielten sich, Dank des Feedbacks, die Ohren zu und Jochen Distelmeyer, noch mit Tolle, schaute bangend aus der Backstage-Tür und genoss den Akt der Selbstkasteiung und theatralischen Erlösung durch das Opfern eines Sängers in vollen Zügen. Ein Lied mehr.

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