0 Gedanken zu „Awesome Film! Was, du kennst ihn nicht? Vol.26“

  1. Oha. Meek’s Cutoff, USA 2010 von der Regisseurin Kelly Reichard. Ein Slomo-Western in dem nur ein Schuss fällt — und der ist ein Signal, schlimmstenfalls ein Warnschuss. Irgendwas dazwischen. Aber auf das Schiessen kommt es gar nicht an. Hier geht es um die Wanderung von A nach B. Hoffnung auf ein Ziel, das man (vielleicht) nie erreicht.
    Der Film ist für mich eindeutig religiös motiviert. Mit dem gesellschaftlichen Outsider Meek haben die streng religiösen Siedler-Familien dieses Trecks, der von Ost nach West bis zur Küste gelangen will, keinen guten Fang gemacht. Meek kennt sich nicht gut genug aus. Seine (geheime) Abkürzung ist ein Griff ins Klo. Der Treck irrt herum, das Wasser wird knapp — dann beginnt die innere Zerrissenheit der Gruppe und der (wenn auch recht schwach gezeichneten) einzelnen Figuren.

  2. Stark, Swen! Ich mag die indianischen Monologe, die auch das Kommunikationsproblem wunderbar verdeutlichen. Die Macht des weißen Mannes prellt hier Frauen und unterdrückte Ureinwohner gleichermaßen.

  3. Ich glaube, ich bin noch eine Erklärung schuldig, warum der Film aus meiner Sicht religiös motiviert ist oder zumindest von einem religiösen Motiv handelt. Ich werde versuchen, es in drei kleinen Schritten herzuleiten.
    Die Sünde
    Meeks Abkürzung (Cutoff) hat die Funktion zu bescheissen. Die anderen Siedler, die vor diesem Treck Richtung Westen aufgebrochen sind, sollen überholt/ übervorteilt werden — das ist unlauterer Wettbewerb, Vordrängeln, Betrug. Wie das Drehbuch und das Schicksal es mit den Betrügern will, entpuppt sich die Abkürzung als das genaue Gegenteil: Irrfahrt und Verlängerung der Reise. Hier hat sich schon eine regulierende Bestrafung eingeschlichen, die den Nährboden des gesamten Plots bildet.
    Ein weiterer Einbruch in das Paradies — als das sich die Auswanderer den neuen Kontinent sicherlich vorgestellt und verklärt hatten — ist das Auftreten der Frauen in künstlich gefärbten Kleidern. Das Knowhow dazu wurde um 1855 in London von William Henry Perkin entdeckt — seit dem war es Frauen möglich, sich wie bunte Schmetterlinge zu inszenieren. Der Film wiederum geizt nicht damit, diesen Angriff des (europäischen) Wissens auf das (amerikanische) Paradies der unberührten Natur zu inszenieren. Schönheit als Affront.
    Der Bedeutungsverlust
    Die Treckies durchqueren am Tage eine Landschaft, die ihnen nicht zusagt, die ihnen nichts sagt, Nichts zu sein scheint und deshalb kaum wahrgenommen wird. Mit schwindendem Trinkwasser, schwindender Kraft und schwindender Hoffnung, eines Tages ein besseres Leben führen zu können als da, von wo man aufbrach, verlieren auch lieb gewonnene Kulturgegenstände ihre Bedeutung. Eine Kaminsims-Uhr oder ein Schaukelstuhl sind nun wertlos und zum Ballast geworden, den man einfach hinten aus der Kutsche rausfallen lässt. Einmal findet ein Junge während einer Rast am Tage etwas Edelmetall. Aber was nutzt das, wenn man damit keinen Handel treiben kann? Nichts davon wird mitgenommen, als der Treck sich wieder in Bewegung setzt — nur eine lächerlich kleine Landmarke wird gesetzt, die aber bereits nach wenigen Hundert Metern zwischen dem Gestrüpp in der Ebene nicht mehr zu identifizieren ist. Unlesbare Zeichen sind gar keine.
    Mit Anbruch des Abends ruht der Treck, die Dunkelheit umringt die Gemeinde, das Draußen verschwindet noch mehr, die Treckies rücken ein wenig zusammen. Im Schein einer Lampe liest man in der Bibel. Die altmodischen, schwer verständlichen Textpassagen werden laut vorgelesen. Niemand redet dazwischen. Niemand hat das Bedürfnis darüber zu diskutieren. In dem Schweigen liegt ein stilles Entsetzen — wie kann so ein großes, umfangreiches Buch so wenig Aussagekraft haben?
    Das Angebot
    Erst mit der Gefangennahme eines einsam herumlaufenden Indianers (ist er ein Trottel, so ganz ohne Pferd oder ein Genie, so ganz ohne Pferd?) ändert sich die Situation des Trecks. Weiß er wo Wasser zu finden ist? Die meisten glauben es, alle hoffen es. Nur Meek ist angepisst und will ihn gleich lynchen — stellt die Hoffnung der Treckies auf den Indianer doch ganz klar Meeks Autorität (neben seiner längst bezweifelten) Kompetenz (Meek’s Fuckoff) in Frage. Der Indianer, so unergründlich er im gesamten Film auch bleibt, hat zwei große Talente: er kann Lesen und Sprechen. Lesen in der Natur — er kann Wasser finden und deshalb den Treck anführen (wenn auch nicht ganz freiwillig). Und er kann Sprechen — wenn auch — wegen der irdischen Sprachverwirrung — „nur“ mit seinem Gott (oder mehreren Göttern, das wird nicht klar). Und mit seinem Gott sprechen, heisst in diesem Fall schimpfen — und dazu hat er auch allen Grund, bei all dem, was sein Gott ihm in der Gewalt der Treckies antut. Die Treckies sind noch schlimmer dran — ihr Gott hat sich verstellt, spielt, er sei nach Diktat verreist oder so. Man kann sich nirgendwo (über ihn) beschweren, nur überall (selbst) beklagen. Jammerschade.
    Die anhaltende Handlungsunfähigkeit der Männer (sowohl Meeks, als auch die der Familienoberhäupter) und das offen vorgetragene Vertrauen der Frauen auf den Indianer, spielen nun den Frauen das Vertrauen der Männer zu. Sie übernehmen sanft (fast unmerklich) die Führung. Plötzlich steht da ein Baum in der Steppe. Der Indianer spürt intuitiv die Gunst der Stunde und geht grußlos davon. Filmende. Endet hier auch der Treck? Ist der Baum ein (göttliches)(Über-) Lebensangebot? Sieht so ein Paradies aus? Kann es mehrere Paradiese gleichzeitig geben? Kann man ein Paradies erst erkennen, wenn man nicht mehr an es geglaubt hatte?
    Ich denke, der Film hat ein volles Pfund fetter, religiöser Fragen hinerlassen. Was will man mehr von einem Film, in dem kaum gesprochen wird …?
    [Ach ja, … der Film spielt lt. Wikipedia im Jahr 1845. Die Entdeckung der künstlichen Farbstoffe war aber erst so um 1855. Somit sehe ich mich leider gezwungen, dem Film einen Punkt unter Glaubwürdigkeit abzuziehen, falls meine These mit dem Kleider-Affront richtig sein sollte. Einen Punkt von sehr, sehr vielen … auch wenn’s weh tut — muss sein …]

  4. Boah Swen, das ist aber mal eine Erklärung. Toll. Viele kleine Punkte kann man abziehen und doch ist es ein Film, der in seiner Stilisierung, eine Menge Potenzial birgt. Religion, Rollenbilder, Kommunikationsproblematik und das westerngenretypische Betrügen sind hier schön in Szene gesetzt.

  5. interessante Auslegung, kann dem zustimmen! Vor allem aber leider auch, der bereits angesprochenen, dann doch sehr schwachen Charakterzeichnung angesichts so eines Bedeutungsgehaltes. Dennoch guter Film 🙂

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