Das Reeperbahn-Festival ist das Festival der Unhöflichkeit und der verpassten Chancen. Drei Tage lang ist auf dem Kiez und Umgebung die Hölle los. Menschen mit ausgedruckten Timetables leuchten sich mit ihren Smartphones in der Dunkelheit der Clubs einen Plan. Der wird nicht aufgehen, dass weiß man schon nach dem ersten Tag.
Auch für die Bands ist es nicht einfach. Sie spielen vor einer unruhigen Meute, die sich vielleicht schon nach zwei, drei Songs wieder auf den Weg macht, um eine andere Band abzuchecken. Vorteil an dieser Art des Festivals: Man sieht unbekannte Bands an jeder Ecke, man betritt Läden, Clubs und Theater, die man auch als gebürtiger Hamburger so bestimmt nie betreten hätte. Nachteil: Man muss viel laufen, viel warten und viel trinken. Man hat das Gefühl, dass die Reeperbahn aus allen Nähten platzt. Das Festivalpublikum mischt sich mit den Kegelklubs, Fußball-Prolls und Kiezbewohnern. Der Spielbudenplatz ist der Treffpunkt für die Streifzüge durch die Nacht.
Wenn man Gesprächen lauscht, erfährt man das, was man verpasst hat. Der Fraktus-Film muss ganz gut gewesen sein. Aber warum sollte man sich auf einem Musik-Festival einen Klamauk-Film anschauen? Der Schweden-Abend im Planet Pauli war knackig. Energetische, gutaussehende Bands geben sich die Klinke in die Hand. Namen sind wie Schall und Rauch. Eigentlich weiß keiner im Saal, wer denn da gerade rockt.
Lucas Graham muckt auffällig im Schmidts Tivoli. Seine Band spielt wahnwitzig gut. Der Bassist macht den Flea/Watt. Ein Schlagzeug-Solo für das Mucker-Herz. Graham ist angeblich krank. Merkt doch keiner. Er hat hoffentlich Lena Backstage das Singen beigebracht. Leider nein. Die ESC-Gewinnerin wird immer nur die ESC-Gewinnerin bleiben. Süß und nervig.
Auch Amanda Mair sollte sich mehr um ihre Songs kümmern oder vielmehr um die Darstellung dieser. Ihre Band zerstört ihre Kompositionen. Ist sie allein an den Tasten, geht es doch. Mina Tindle ist eine Erscheinung. Im Café Keese zerlegt sie ihre Folk-Songs. Die Begleitmusiker sind toll. Nach einer halben Stunde wünscht man sich mehr. Doch hey, es warten noch drei Musiker Backstage auf ihren Auftritt. Der Presseausweis verheddert sich im Bier.
Das Reeperbahn-Festival lässt ein Publikum erscheinen, dass nicht immer weiß, wie es sich zu verhalten hat. Klatschen, staunen, quatschen oder von links nach rechts gehen. Immer auf dem Sprung, immer im Unwissen, welche Band da gerade spielt. Ins Molotow geht man nur zum Pinkeln.
Die bekannten Acts sind überlaufen. Im Grünspan schwitzt man sich zu den Japandroids kaputt. Die beiden Kandier noisen ihren Punk’N’Roll locker herunter. Danach haben es Best Coast schwer. Bethany Cosentino ist auch nicht vom unhöflichen Publikum angetan. Schlunzige Ansagen verfeinen nicht gerade ihre Performance. Ein Potpourri wird rausgehauen. Den Zuschauern ist das schon nach vier Songs egal. Wo müssen wir jetzt hin? Wann spielt eigentlich Cro? Ist Graham Coxon schon durch?
Stabil Elite fangen krautig an und füllen das Übel und Gefährlich. Die Band aus Düsseldorf bestätigt ihren Hype. Jazz-Showcases mit Käse und Wein. Der Spielbudenplatz wird zum Dom. Die Höchste Eisenbahn stellt neue Songs vor. Krämer und Wilking sind ein tolles Team.
Man hat das Gefühl, dass die Bierpreise jeden Tag steigen. Oder trinkt man einfach mehr? Mal darf man rauchen, mal nicht. Mal ist der Sound okay, mal nicht. Stage-Hands tragen Grubenlampen. Die Security ist nur dazu da, um „Ausverkauft“ zu rufen. Am Ende ist man geschafft. Hätte man sich Jon Spencer doch im Zardoz geben sollen? Ist man zu alt für Festivals? Ist das ein typisches Festival? Hamburg, meine Perle. Schmeiß Olivia Jones raus. Bis nächstes Jahr. Ähhh, bis morgen.