Woher kennst du eigentlich die Beatles? Andreas Reihse gibt Antwort.

Jahrgangsgeräusche hat zur Beantwortung dieser Frage GastautorInnen eingeladen, die ohne Reglementierungen ihre Beiträge einreichen konnten und auch weiterhin noch können.
Diesmal gibt uns Andreas Reihse, Musiker und ein Viertel der Formation Kreidler, Auskunft.

Liebe Kiara,
es ist Freitag Nachmittag, ich sitze im Zug von Hamburg nach Berlin, und werde dort mit zweistündiger Verspätung ankommen. Mein Intercity wird umgeleitet. Draußen ist es Weiß Weiß Weiß. Schnee fällt. Ein Weißer Freitag. Ein helles Gewand legt sich um die Bäume, bedeckt die Landschaft und versteckt alles was ist und war. Alles sieht so friedlich aus. Vermeintlich Wichtiges wird unwichtig. Erinnerungen verblassen.
Liebe Kiara, ich hatte Dir ja versprochen, endlich Deinen Brief zu beantworten. Dir von meinem Weißen Sonntag zu berichten. Leider kann ich mich aber kaum erinnern. Mein Gedächtnis ist leer, weiß, rein. Es gibt Stützen, wie zum Beispiel Fotografien, die mein Vater gemacht hat. Schwarzweiß, vermutlich sogar selbst entwickelt. Dann sehe ich wieder, wie Wolfgang und ich aussahen, unsere Anzüge, meine Brille, wie ordentlich unsere Haare gescheitelt waren, die silberne Folie die Uwe hinter uns aufgespannt hatte, und natürlich die Weißen Kerzen.
Und dann gibt es Dinge, die man einfach weiß, weil sie immer so gemacht wurden, heute sicher auch noch. Ich weiß, dass wir die Erste Heilige Kommunion vorbereitenden Unterricht hatten, sicher in der Kirche, vielleicht auch in der Schule. In der Grundschule fing damals einmal in der Woche, ich glaube am Mittwoch, der Unterricht eine Stunde später an. Dafür mussten die Schüler und Schülerinnen in dieser Zeit in die Kirchen (protestantisch und katholisch). Sonntags mussten mein Bruder und ich auch immer in die Kirche. Eine Freundin meinte später einmal, vielleicht wollten unsere Eltern den Sonntagmorgen einfach auch für sich haben.
Der Pfarrer von Schwörstadt war mein katholischer Religionslehrer. Sicher war ich am Weißen Sonntag in der Kirche aufgeregt, dass ich alles richtig mache. All das Einstudierte und Auswendiggelernte. Das musst Du allerdings wirklich nicht sein. Man kann gar nichts falsch machen. Man ist schliesslich einfach ein Mensch. Weihrauchduft war während meiner Kindheit auch nicht meine Sache. Einmal bin ich in einer Kirche ohnmächtig geworden; aber das hatte noch andere Gründe.
Zuguterletzt gibt es noch ein falsches Erinnern an die Sache. Ich erinnere mich an Erzählungen, dass über bestimmte Gegebenheiten immer wieder gesprochen wurde. Oder auch an Dinge, die für mich selbst eine Wichtigkeit angenommen hatten. So hatte ich zum Weißen Sonntag ein Radio mit Kassettenrekorder geschenkt bekommen. Und ein ein kleines Paket mit sechs orange-farbenen Leerkassetten von BASF, wovon ich fünf in den kommenden Wochen mit Aufnahmen aus dem Radio, von SWF3, bespielt hatte. »Swing, Dixi, Beat« schrieb ich auf eine Hülle, da waren dann Glenn Miller und die Beatles drauf. Die Kassettenhülle hatte ich mit den Song-Titeln beschriftet, und zwar wie gehört, also mit falscher Orthographie – ich war 9 Jahre alt und sprach kein Englisch – vielleicht heisst das Onomatopoesie. Auf die erste der sechs Kassetten hatte ich heimlich die Kommunionsfeier aufgenommen. Der Radiorekorder hatte ein kleines eingebautes Mikrofon. Ich habe die Kassette leider nicht mehr. Es war viel Geschirrgeklapper
darauf und viel Alemannisch natürlich. Und mein Patenonkel Herbert hatte, ich glaube mit der kleinen Tochter meiner Patentante Helma, in Babysprache gesprochen, das jedenfalls war Onomatopoesie, und meine Mutter fand das sehr albern; man könne auch mit Kindern wie mit Erwachsenen sprechen. Das fand ich dann auch.
Es küsst Dich,
Dein atheistischer Patenonkel
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