Die Chromatics haben sich gewandelt. Die Postpunk-Zeit ist lange rum, jetzt folgen Soundtrack-Beiträge, V.I.P. Zonen und langweilige Partys mit Bodennebel.
Das ganze Bandgefüge hat sich gedreht. Nur noch Adam Miller ist von der Urbesetzung dabei. Johnny Jewel hat das Ruder fest in die Hand genommen. Der Überproduzent schenkt den Chromatics einen cineastischen Dream Pop-Synthiesound, der aber auch schöne Siebzehn Sekunden-Cure-Flanger Gitarren an den Pomp lässt und sich locker an Songs aus der Vergangenheit ran traut. Der Titeltrack Kill For Love klingt wie eine verlorengegangene Jesus and Mary Chain-Blaupause. Ruth Radelet singt gedankenverloren über Unwichtigkeiten (Kurt Cobain-Selbstmord), macht so aber das Album wunderbar melancholisch. Kate Bush und Annie Lennox küssen sich auf Peyote. Das Album schwebt dem Sommer entgegen. Aber immer mit einem kühlen Retrohandtuch im Nacken. Die Bassdrum wird durchgezogen. Manches verpufft im Sumpf des Alltags und doch bleibt so einiges hängen. Hits, Hits, Hits.
Ruth Radelet singt famose, traurige Melodien. Sie steigt in den Refrains in den Himmel auf. Sie schenkt uns die amtlichste Langeweile des Jahres. Unbedingt tanzbar und im nächsten Moment so langsam, dass dir dein Heroin in den Venen gefriert. Und doch machen die Chromatics so einiges falsch. Sie wollen den Thron. Sie tun dafür alles. So gehen sie über Leichen und lassen die in der Mitte des Albums auch liegen. Einiges ist zu lang geraten. Zu viele Soundspielereien oder Instrumentalparts zerstören die Idee des einfachen Popsongs. Am Ende gibt es sogar eine vierzehnminütige analoge Ambientautofahrt. Man hat die Hits schon längst vergessen. Auch John Carpenter und David Lynch schütteln mit dem Kopf.
Nach 90 Minuten hat auch der letzte Italo-Disco-Liebhaber sein italienisch verlernt. Fast genervt von den Vocoder-Zersetzern, bei den von Adam Miller vorgetragenen Stücken, bleibt auch er ratlos zurück. Man nimmt sich dann das Doppelalbum kreuzt fünf, sechs Stücke an. Das reicht für den Weg zur U-Bahn, für den Weg ins Reisebüro oder für den Marsch vom Pool in die Hotellobby. Ich weiß, eine Nacht kann lang sein. Schnarch. „It keeps on repeating as the beat goes on.” Irgendwie trotzdem gut.
Kill For Love erscheint am 29. Mai 2012 auf Italians Do It Better