Manchmal bekommt man richtig Angst, wenn Alex Zhang Hungtai sich das Mikro packt. Er steht dann da, wie ein fanatischer Prediger in einem David Lynch-Film und brüllt sich die Seele raus. Dann im nächsten Augenblick winselt er wieder wie ein zerschossener Elvis, kurz vor dem Big Mac-Abendmahl. Ein spitzes „Baby“ zerreißt mich in Stücke.
Dirty Beaches hat sich Verstärkung auf die Bühne geholt. Die One Man-Band ist zu einem Trio angewachsen. Dieser Schritt hat sich musikalisch gelohnt. Denn die beiden Mitstreiter verfeinern die scheppernden Karaoke-Backings mit Saxophon, E-Schlagzeug, Vocals und Effekten, so hat Alex mehr Raum, sich dem verhallten Croonen zu widmen. Das Indra ist passabel gefüllt. Rund 60 Zuschauer stehen wie gebannt vor der Bühne, als sich der hochgewachsene Alex seine Gitarre umhängt, um den ersten schneidenden Akkord ins Universum zu schicken. Alex‘ Gitarrenspiel ist eh nur eine Randerscheinung. Kurze Töne, die an ein Solo erinnern sollen, treffen auf Anschläge bei zugehaltenem Griffbrett. Der Sound macht hier die Musik, nicht die flinken Finger.
Manchmal geht Alex sogar in die Knie, um an den Effektpedalen zu schrauben oder das kleine Mikro aus der Hand zu legen. Dann ist er in seiner Welt. Alles um ihn herum ist nur noch Highway oder Bondage-Studio. Sphärische Bluesmomente werden mit jazzigen Saxophon-Mantras versehen. Der E-Drummer darf ein wenig mit den Toms und dem Becken zischeln. Er bringt so noch kleine Akzente in die sonst stoischen Beats.
Alles starrt eh nur auf Alex. Hamburg ist im Fieber. Beim Hit „Lord Knows Best“ lässt sich das Publikum sogar zu einem Schlangentanz hinreißen. Von da an kippt der Abend. Jeder Song wird ab jetzt mit kieksenden Yeah-Rufen und Szenenapplaus begleitet. Alex hat es geschafft, den Hamburgern Feuer unter dem Arsch zu machen. Diese psychotische Mischung aus Suicide und Rock ‚N‘ Roll-Nostalgie bahnt sich den Weg in die Hüften des Publikums. Spitze Schreie aus dem Publikum spornen Alex noch mehr an. „Baby“, „Fuck“. Es riecht nach Schweiß! Dirty Beaches schafft es die kranke, nach nicht enden wollenden, schmerzhaften, harten Sex klingende Musik seiner Veröffentlichungen auf die Bühne zu übertragen. Hammer!
Am Ende steigt er ohne Mikro ins Publikum. Die Frauen wollen ihn berühren, die Männer wollen sich mit ihm messen. Ein angedeuteter Gospel zieht durch das Indra. Mittlerweile raucht der ganze Laden. Die Frau vor mir riecht ständig an ihren Haaren. Ja, da wirst du morgen noch was von haben. Dirty Beaches springt aus dem Schatten des Geheimtipps. Der raue, wehmütige 50 Minuten Auftritt hat alle ein wenig geil gemacht. Als das Licht angeht tummeln sich die Fans am Merchandise-Stand und schreien als wäre Alex Justin Bieber. Wie viele Kassetten Alex wohl verkauft hat? Mit einem Halbsteifen fahr ich nach Hause und pfeife leise „Crying“ von Roy Orbison. An dieser Stelle sei auch das tolle Mixtape von Alex Zhang Hungtai auf Aquarium Drunkard empfohlen.