Annie Clark hat ihren Gemischtwarenladen auf ihr Griffbrett genagelt. Im Gepäck sind auch flapsige Effektpedale, ein Wunder-Drummer und ein Feengewand, das wird natürlich stilecht von Bobby Sparks getragen. Im Köcher hat Annie waghalsige Geräte wie ein Electro-Harmonix Holy Grail Reverb.
Der Wunder-Drummer ist MacKenzie Smith, der sonst bei Midlake glänzt. Wie er seine Bassdrum bedient ist Weltklasse, dazu die Offbeat-Hi-Hat, die dich wahnsinnig macht. Knaller. Und Annie Clark? Sie bringt Songskizzen mit, die sich im Laufe der Zeit zu dramatischen Überhits hochpeitschen. Sie nutzt ihre Stimme als Instrument. Mal glasklar, mal vernebelt. Ihre Gitarre spielt wilde Licks, die sich dem Arrangement entziehen und dennoch einzigartig unterordnen. Auch ein Early Sitori Sonics Tapeworm Prototype-Dingsbums verheddert sich im Cabaret.
St. Vincent ist nun da, wo sie schon immer hingehörte. Im Himmel, an der Spitze, in den Herzen der Journalisten, in den Heften und Videos. „Strange Mercy“ ist ein Brett, das sich ständig um die eigene Achse dreht. Man weiß nicht mehr, wo vorne oder hinten ist. Die Songs sträuben sich den normalen Duktus zu gehen, sie prellen die Bälle hart gegen den Beton. Das Tempo schwankt, das Feengewand bekommt einen Lichtstrahl und die typische Windböe. Der Sound ist atemberaubend. Manchmal muss man sich die Ohren zu halten, um zu verstehen, ob das Stimmen, Synthesizer oder kleine Männer im Ohr sind. Wie ein warmer Sommerwind huscht Annie durch ihre komplexen Stücke, die sich immer wieder gegen die Spur lenken.
Knallteile springen ihr ins Gesicht, sie zäumt ihre Gitarre mit beiden Händen. Manchmal ist das R’n’B, manchmal zickiger Rock, manchmal eine wehende Fahne oder ein Sommerkleid mit Blumen. Zwischendurch wird es düster, der Störkanal wird aufgedreht. New York ist mal wieder die Nummer eins. MacKenzie Smith groovt sich einfach gegen alles auf. Obwohl sein Kit klingt, als hätte er nur Hi-Hat, Bassdrum und Snare. Ah, da die Stand Tom. Geisterfaust.
Knarzige Bässe unterdrücken manchmal Annies warme Gedanken. Ihr Gitarrenspiel ist so zauberhaft, du willst ihre Feedbacks nicht mehr missen. Manchmal taucht der große Popdiktator auf, um dem ganzen doch noch ein wenig Schmiss zu geben. Ein bisschen was für die Seele, für das Herz und nicht nur etwas, was der Avantgarde die Tür aufhält. Aber das ist Pop wie ihn die Dirty Projectors vorführen. Immer nah am Wahnsinn gebaut.
Mit ungnädiger Kraft und verspielter Ironie stolziert Annie durch ihr Paradies. „Strange Mercy“ wird in die Endabrechnung aufgenommen werden müssen. Annie wird sich wohl die Krone angeln, sie versteht es neue Aspekte aufzutischen, sich gegen den Strom zu stellen, ihn aber auch zu nutzen und dabei wahnsinnig gut auszusehen. Ist das noch Pop? Ist da ein Anflug von Rock oder ein Theatervorhang? Nein, das ist ein Wunder. Mir rutscht ein stranges Mercie über die Lippen. Bei Annie wäre ich gerne Gitarren-Roadie oder besser noch Groupie. Meisterwerk!