Jeremy Jay Live – Hamburg, Aalhaus 13.09.2011

Bei Jeremy Jay hat sich einiges getan, seitdem er das letzte Mal in Hamburg war. Zwei Alben sind hinzugekommen, seine Band wurde durchgewürfelt und er hat bei Facebook nun endgültig London als Heimatort angegeben. Diese Tatsache begründet wohl Veränderung Nummer 2. Und dann zieht Jeremy Jay seine Jacke aus und die Zeit bleibt stehen.
Jeremys Hemd ist an beiden Ellenbogen verschlissen und eingerissen. Es ist natürlich das Hemd, das er schon 2009 in der Astrastube trug. Nichts hat sich also verändert. Neue Platten und Wohnorte machen einen nicht zum komplett anderen Menschen. Das Alter spürst du nicht in den Haarspitzen oder der Bauchgegend. Nein, die Ellenbogen sind das Aushängeschild!
Das Aalhaus in Hamburg war mir bis dato noch unbekannt. Eine alte Eckkneipe, die nun von jungem Volk den Retrocharme ausgeprügelt bekommt. Holzvertäfelung und Fliesen sind die Bühne für Jeremy. Draußen hängen bunte Lichterketten. Das Konzert beginnt und nach einer Minute beginnt das Dröhnen. Ein stetes Feedback untermalt den schwungvollen Auftakt. Die Band kann nur mit den Schultern zucken und spielt stoisch weiter. Voll nervig. Meine Lust kippt sofort ins Negative. Nach vier Songs wird es auch endlich Jeremy zu viel. Er stellt seine Gitarre zur Seite und stakst durch den überraschend sehr gut gefüllten Raum zum Tonmeister. Ein kurzes Gespräch und das Problem ist gelöst. Das Fenster noch schließen, bitte! Die Nachbarn und so. Weiter geht’s.
Alle Alben werden angerissen. Vielmehr werden ohne Konzept einige Songs herausgezogen. Einige Hits bleiben in der Versenkung. Jeremy und seinen Jungs geht es eh nicht um das Herunterspielen von Songs oder das Anpreisen von Hits. Hier wird öffentlich geprobt. Jeremy nutzt seine Fähigkeit, Songs mit unglaublicher Gleichgültigkeit zu singen und paart sie mit wilder Gitarrensinnsuche. Nicht jedes kleine Lick rutscht flüssig, nicht jeder Seufzer kommt dem Wort Timing nahe. Und doch wird alles im Laufe des Abends, wie immer bei Jeremy, seinen Sinn bekommen. Die neue Backing-Band ist stärker als noch 2009. Auch die käsigen 80er-Keyboards sind wichtig für Jeremys Gerüst. Nun sind sie endlich auch vollwertig mit dabei. Locker zählt Jay Stücke an, seine Jungs folgen blind, auch wenn Jeremy mal kurz die Gitarre hängen lässt oder er sich in ein spinnertes Riff verliebt hat und noch den richtigen Anschlag sucht.
Neue Songs werden getestet. Hier gibt es zum ersten Mal an diesem Abend einen Blick in die Zukunft. Die neuen Sachen haben ein anderes Tempo, sie klingen noch romantischer und trauriger. Sie verlassen auch mal das Schema F. Da wird noch was kommen. Ich freu‘ mich drauf!
So langsam läuft die Band heiß, auch Jeremy scheint Spaß zu entwickeln. Ein Lächeln huscht über seine Lippen. Die Fans feiern die Jungs so wie es in Hamburg üblich ist. Mit nordischer Distanz. In London, Paris, New York oder Tokyo wird Jeremy wohl jeden Abend das Hemd heruntergerissen, daher wohl auch die zerfetzten Ellenbogen. In Hamburg klatscht man halbfrenetisch. Nach zwei Zugaben ist Schluss. Auf dem Nachhauseweg flutschen mir so Worte wie: „Jeremy Jay ist in seiner Liga, der wohl schlechteste Sänger!“ raus. Meine Anvertraute fragt: „In welcher Liga spielt er denn?“ Und ich entgegne: „In einer guten!“

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