Man mag gerne von Mainstream sprechen, doch es gibt auch da einige Wunder. Beyoncé zählt zu den reichsten Frauen der Welt. Ihre Musik mag den Geschmack der Allgemeinheit treffen. Sie berührt den Starbucks-Schlürfer genauso wie die Mutti, die bei offenem Fenster putzt. Kleine Mädchen wollen so sein wie sie. Jungs sabbern bei ihren Auftritten oder Videos.
Den Vogel schoss sie ab, als ein Backstage-Video gefilmt mit dem Telefon von Ehemann Jay-Z im Netz auftauchte. Mit geschlossenen Augen steht sie vor dem Spiegel in ihrer Umkleide und probt für ihre Performance in der amerikanischen Ausgabe von DSDS. Ihre Familie und Freunde lümmeln auf dem Sofa rum, ihre Backgroundsängerinnen stehen ein wenig abseits. Beyoncé zeigt das, wofür sie vielleicht niemals ausgezeichnet wird. Sie zeigt sich selbst in einer ruhigen Minute ohne großes Brimborium und überzeugt. Gänsehaut! Da wird das Vitamin-Water in der Flasche verrückt.
Der Song „1+1“ eröffnet auch ihr neues Album 4. Auch hier überzeugt der Song mit einer tollen stimmlichen Leistung, die einen warmen Hall zur Seite bekommt. Schleimige Streicher geben noch mehr dickflüssigen Saft hinzu. Die Gänsehaut bleibt aus. Was machen diese Diven denn nur? Müssen sie sich dem Diktat des Marktes unterwerfen? Das hat doch Beyoncé nicht mehr nötig. Sie sollte sich ihre Probe aus der hellen Umkleide noch mal reinziehen. Ein Gitarrensolo ist hier unnötig. Die 80er siegen wie so oft.
Den Stempel vom Amt wollen die Stars heutzutage auf ihrem Album haben. Die Produktionen werden größer und größer. Natürlich ist Beyoncé immer am Song interessiert, die auch auf dem neuen Album gar nicht so unsinnig sind. Die Produktion trägt die Macht Beyoncés Stimme. Doch trotz aller Gefühlsduselei bekommt man nicht, das wahre Gesicht zu sehen. Beyoncé versteckt sich hinter den Türmen an Soulmitbringseln. Das Radio siegt, die Plattenfirma ist beruhigt. Kleine Mädchen haben wieder Futter um zu Hause mit der Bürste in der Hand, jeden gesanglichen Schlenker zu imitieren, um natürlich kläglich zu versagen, denn Beyoncé ist ein Ausnahmetalent.
Auf 4 kommt immer wieder diese erwachsene Seite zum Vorschein. Die Stücke sind ausgeschmückt mit großspuriger Weisheit. Käsige Synthesizer bleiben auf dem Teppich, die Beats sind von solcher Klarheit, dass man nur noch ein Wort sagen muss, um Wahrhaftigkeit vorzugaukeln. In all dem steckt Beyoncé. Sie drückt sich in die Songs. Ihr kleiner Finger steht beim Singen ab. Das Album rutscht so durch. Das Tempo bleibt auf der Mittelspur. Alles hält sich zurück, um Beyoncé nicht die Luft zu nehmen. Erst bei „Countdown“ gibt es was zu Bouncen. Hier wirbelt es auf einmal wie Hölle. Ein kurzer Ausbruch. Toll. Auch „End Of Time“ darf blasen. Karibischer Flair setzt neue Akzente. Der Groove siegt über Beyoncé. Die vielleicht spannendsten Momente des Albums. Klingen fast wie Remixe.
Auch aus einem schlechteren Stück macht Beyoncé einen Hinhörer. Das macht ihr so schnell keiner nach. Doch vielleicht gibt es einfach zu viel Platz für Beyoncé. Zu viel Text wird einem um die Ohren gehauen. Die Musik spielt sich nur im Hintergrund ab. Natürlich gibt es des öfteren diese Raketenwendung oder einen unnötigen Gastauftritt von Andre 3000 und Kanye West. Gegen Ende der Stücke darf dann alles aus den Instrumenten gedroschen werden. Die Stimmen überschlagen sich. Ein kurzer ruhiger Moment beendet die Stücke. Schlussakkorde werden zelebriert. So ist 4 ein weiterer Meilenstein in Beyoncés Karriere. Sie wirkt aufgeräumter, doch das Feuer lodert nur in wenigen Momenten. Beyoncé hat halt nur Songs zur Hand, die fast alle in der selben Einstellung aufgenommen wurden. Das mag Konzept sein, langweilt aber auf Dauer. Als Album funktioniert 4 nicht so. Einzelne Songs kann man ruhig mal zwischendurch hören. Dann setzt der Effekt ein, dass man sich an Beyoncés Stimme ergötzt, sich Haare aufstellen und man knutschende Paare vor Augen hat. Happy Endings für die Kuschelrock-CD-Käufer! Ich steh mehr auf die Proberaum-Beyoncé.