Tim Hecker – Ravedeath, 1972

Es dröhnt. Die Kirche wird hier nicht im Dorf gelassen. Tim Hecker nimmt die Kirche mit und stellt sie aus. Zwar nur das Mauerwerk und die Orgel, aber immerhin. Die Gläubigen hat er zu Hause gelassen. Die Kirche diente nur als Austragungsort, nicht als Spielstätte. Widerspruch? Nein!
Zusammen mit Ben Frost hat sich Tim Hecker in einer Kirche in Reykjavík verschanzt und die Orgel getestet. Wußte er schon, was er spielen soll? Oder hat er einfach mal drauf los gespielt? Lange, dunkle Klänge wurden produziert, dann ging es zurück nach Kanada, um den Aufnahmen den Nebel und den Wind zu schenken. Erst der Endschliff ist es, der den harmonischen Tonfolgen ein Trauma ins Gewand pustet. Hinzugefügte Orgeln rutschen als Drones ins Sakrale. Dicke Wände werden gezogen, die so tief brummen, dass selbst gute Boxen flattern. Herzkammern werden laminiert.

Filter werden auf und zu gemacht, manchmal leider auch mit geraucht, so dass alles anfängt zu kokeln. Doch ein richtiges Feuer will Hecker gar nicht entfachen. Ihm bleibt ein Drone gerne mal auf halber Strecke liegen, kommt aber dann mit einem Akkordwechsel zurück, der noch tiefer ins Mark haut als der Vorherige. Ein Pianoklimpern ödet sich in fades Tageslicht. Der Raum klingt. Die Kirche wird zu einem winzigen Kellerloch. Wie an einem häuslichen Altar wird ein Bild aufgestellt. Eben wurde noch groß gedacht, doch jetzt ist alles eng und klatschnass. Nein, staubtrocken. Widerspruch? Nein!
Hecker schraubt und schiebt. Man hört dies nicht, denn alles schwelt nur so herbei, dass man seinen Ohren nicht immer trauen kann. Figuren setzen sich auf eine Grundlinie und bleiben erstmal sitzen. Das Album drückt. Es drückt einen unter Wasser, in die Grube oder in den Beichtstuhl. Große Räume kommen einem immer unheimlich vor, doch Hecker hängt sie irgendwie ab, so dass du auch irgendwann auf der Grundlinie hockst und mit den Figuren um Platz bettelst. Klaustrophobisch das Ganze. Lange Fahnen ziehen steroide Kreise, keine Menschenseele in Sicht. So aufgeplustert, das einem die Kirche wie ein Luftschloss vorkommt. Die große Orgel klingt manchmal so, als hätte Hecker einen Stein auf die Tasten und Pedale gelegt und wäre nach draußen gegangen.
Die Mischung aus Liveatmosphäre und digitaler Aufstockung macht das Album spannend. Obwohl sich der Spannungsbogen auch zu euch auf die Grundlinie gesetzt hat. Gitarrenbrettgerutsche bringt ein wenig Humanismus in das Dröhnen. Hecker sitzt in der Kirche und wartet was passiert. Ein Fänger im Weihrauch, ein Rosenkranz-Shaker gegen das Vergessen. Scary! Wer jetzt Progrock sagt, muss Buße tun. Der Flughafen war gestern, heute ist es die letzte Bank im Gotteshaus, die dir Ungemütlichkeit vorgaukelt. Von irgendwoher weht ein Opernball herüber.
Ravedeath, 1972 ist bei Kranky erschienen und kannst du hier hören.

0 Gedanken zu „Tim Hecker – Ravedeath, 1972“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.