Oval – O

Nach ungefähr neun Jahren des Innehaltens kam Markus Popp mit Oval wieder zurück. Diese Tatsache wurde inzwischen vielerorten besprochen. Anlässe dazu gab es ja über das Jahr verteilt mehrere. Schließlich rundete das Doppelalbum „O“ nach EP- und Digitalveröffentlichungen die Oval-Serie-2010 mit nicht weniger als 70 Tracks ab. Da musste auch ich zunächst innehalten. Nun zu „O“  noch ein paar Worte.
Oval 2010 beginnt mit der offensichtlichen Abkehr von früheren Ansätzen, die bei diesem Projekt wichtig waren. Dennoch ist das Konzeptionelle und Erforschende als Ausgangspunkt geblieben, hat sich vielleicht sogar noch mehr in den Vordergrund geschoben. Wenn früher das ungewöhnliche Klangmaterial, das nur am Rande musikalischen Interesses lag, und der Loop im Vordergrund standen, dann hat sich der Schwerpunkt nun mehr auf eine avanciertere Klangverarbeitung verlagert. Auf „O“ und „Oh“ sind Klangbearbeitung ganz Prozess im Sinne einer individuellen künstlerischen Handschrift und Verklausulierung geworden. Die Auswahl von ungewöhnlichen Bearbeitungsalgorithmen auf gewöhnlicher PC-Hardware wurden um so sorgfältiger im Vorfeld von Markus Popp getroffen.
Es erscheinen akustische Klänge. Saiten finden sich scheinbar unwillkürlich ein. Metallische Saiten. Gitarrensaiten. Pickings. Den Flageoletts ähnliche Töne sind auf „O“ geradezu charakteristisch. Selten taucht ein energisches und auch auflockerndes akustisches Schlagzeug auf. Noch seltener kontrastieren FM-Sounds. Die Klangereignisse treten wie spontan eingefangene Improvisationen einer äußerst zerbrechlichen Versuchsanordnung auf. Scheinbar einfache und akribische Aufnahmen von Handverfertigtem verbleiben in einem Charakter der Rohheit und Unbehauenheit. Kein Hall, keinen Echos. Das Ohr bleibt immer in unmittelbarer Nähe.
Das Skizzenhafte findet Formen ohne Wiederholung. Die Aufnahmen werden nur mit einem Hauch von Klangbearbeitung überzogen. Nur einem Hauch. Damit die Klänge nicht umkippen, sondern immer für eine gewisse Zeit, die nicht genau bestimmt ist, ein labiles Gleichgewicht erhalten und auf der Kippe stehen. Ein gleichsam schwieriges, ja fast unmögliches Unterfangen.
Und genau das Macht den Reiz der Ergebnisse der Klangprozesse auf „O“ aus. Ist es ein Schorf, ist es Rost oder Raureif? Der Klang ohne feste Kontur auf der Zeitachse hält jegliche Spannung aufrecht, die vorgegeben wird. Die Klangfindung ist Drahtseilakt, Artistik, die sich genügt. Die Klangfindung bleibt immer nur ein flüchtiges Erhaschen von etwas wieder und wieder in neuem Gewande Erscheinendem. Ein Prozess, der nie ins Exakte, ins Errechnete und Wissenschaftliche gerät. Und das exakte, das möglicherweise den verwendeten Effekten innewohnt, bleibt unerkannt.
Akustische Saiten werden durch irgend etwas nicht näher Bestimmtes und Bestimmbares gejagt. Auf der anderen Seite des Signalweges erscheinen Töne mit dünnster Firnis überzogen, leicht verzerrt und metallisiert, galvanisiert und imprägniert. Verstellt, verschnupft, subtil maskiert. Manchmal ein Röcheln im Unterton. Dann schnarrt sich etwas fest in der Vorstellung, es könnte sich gleich eine Verzerrung aufschaukeln. Doch bevor die Klänge in bekannte Muster kollabieren, bricht die Phrase wieder ab. Es bliebt immer auf der Kippe, immer im labilen Gleichgewicht. Das ist das eine Verdienst.
Neben der Variation, die sich auf das Klangliche bezieht, steht die Iteration des musikalischen Materials im Fokus. Markus Popp zerschneidet und zertriggert ohne dabei Mikromuster für länger als zwei bis fünf Sekunden erkennbar werden zu lassen. Auch das Rhythmische bleibt auf der Kippe. So bleiben rhythmische Muster im eigentlichen Sinne aus. Das ist das andere Verdienst dieses Albums.
Schließlich ist „O“ zweigeteilt in eine erste CD mit mehrminütigen Stücken, die Entwicklungen in sich tragen und einem zweiten mit kurzen Miniaturen. Insgesamt erscheint mir der zweite Teil mit den machmal unter einminütigen Anrissen ausgewogener als die Versuche größere Bögen zu schlagen. In jedem Fall ergibt sich aus dem Reigen der diesjährigen Oval-Veröffentlichunge die sehr überzeugende Arbeit eines Musikers, der immer noch weiter nach neuen Reiz- und Ansatzpunkten zu suchen scheint, und mit „Oh“ bis „O“ tatsächlich Spannendes und unter Spannung Stehendes Neues gefunden hat. Was zu beachten war in diesem Jahr.
„O“ ist im September bei Thrill Jockey erschienen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.