Liger – Unknown Pressures

So kurz vor dem Untergang, kurz vor der Beisetzung kommt man schon mal auf komische Gedanken. Habe ich alles richtig gemacht? Habe ich alle zufrieden gestellt? Oder wollte ich gar nicht an der großen Tafel sitzen? War mir der Katzentisch nicht eigentlich schon immer der Liebere?
Dino Spiluttini aus Hamburg bedient sich bekannter Muster, die schon gefallenen Engeln den Weg in eine ungewisse Zukunft geebnet haben. Baumhaus statt Bauhaus ist sein Credo. Synthiefahnen ummanteln die böllernden Toms, die immer dann Dramatik suggerieren, wenn die Phaser-Gitarre den Anriss verpasst hat. Stoisch zieht sich die Trauerrhythmik über Stock und Stein. Mit dem Kissen wird den Songs die Luft geraubt.
Spiluttini trauert mit seiner Stimme wackelig und demütig in der Ecke. Wie mit Eselsohren bestraft, versucht er den Beitrag zu leisten, den die Oberlehrer von ihm abverlangen. Der Rohrstock dient nicht als Strafe, sondern als Aufmunterung. Erinnert ein wenig an Jamie Stewart, nur dass der den Wahnsinn und die Krankheit auf der Zunge trägt.

Das Piano wird kurz getupft, die Gitarre bleibt Beiwerk und Transportmittel. Oft reicht ein Schrappen, ein Picking, eine Berührung. Natürlich packt Dino oft die Pose und die Theatralik. Er sieht sich schon gerne selbst, obwohl alle Spiegel abgehängt sind. Der Hallraum wird zum Kühlhaus. Der Wald zur Spielwiese und die Schminke zu Blut. Veränderungen im Leben werden mit Rasierklingen in die Kniescheiben geritzt. Am Abend im Gothic-Club zeigen dann die Männer ihre Knie. Na, wer hat denn heute am meisten gelitten? Doch Geschichten werden nicht erzählt. Das sollen die Storyteller und Wünschelruten-Deppen machen.
Liger bleibt ein Bastard aus Tradition und Moderne. Aktuelle Heroen werden beweihräuchert, alte Damen gestriffen. New Wave mit viel Schönklang, denn der Krach und das Zerwürfnis der eigenen Persönlichkeit werden nicht in die Tonleiter gepackt. Schade eigentlich. Ein bisschen weniger Pop könnte gut tun. Die Stimme bräuchte Brachialeres. So ist Liger für den Dark-Nachwuchs wohl zu romantisch, zu lieblich. Aber für den Nachmittag mit zugezogenen Vorhängen macht das Sinn und zerstört einem nicht sofort die gute Laune. Nur wer hat die schon?
Die 7″ ist auf Beatismurder Records erschienen

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