Klassiker: Ambitious Lovers – Envy

Arto Lindsay suchte nach neuen Ufern. Nach den Free Jazz- oder auch No Wave-Jahren war es nicht so einfach den alten Mantel in den Schrank zu hängen und ohne Bezüge frische Bettlaken aufzuziehen. Arto Lindsay wollte eine Melange erschaffen, die alle Aspekte seines Daseins beinhaltete. Seine brasilianische Jugend und der damit verbundene Einfluss auf den alten Bossa Nova mixte er mit Krachschüben der frühen Punktage. Doch auch sein Popverständnis, das immer schon ausgeprägt war, wollte Arto in Kombination setzen zu Soul, P-Funk und Artrock. Keyboarder Peter Scherer unterstützte den New Yorker tatkräftig. „Envy“ war das erste Album des Projektes Ambitious Lovers. Als Teil der Todsünden angelegt schimmert „Envy“ immer dann am hellsten, wenn Arto es übertreibt und seine Stimme als Ausdrucksmöglichkeit einsetzt, so dass der Klang aus der Kehle und die Technik dem Singen nur noch artverwandt sind. Mike Patton kopiert bis heute die Effekte des Pioniers.
Die Songs sind funky angezickt mit Keyboardperlen und mechanisch klingenden Snares, die wohl heute als schlecht programmiert abgetan werden würden. Die portugiesisch gesungenen Stücke schwelgen in einer Art unwirklicher Weltmusik. Das unbarmherzige Gitarrenspiel mit ungewöhnlichen Akkorden, die so wohl in keinem Lehrbuch stehen, komplettieren Artos Vorhaben, eine neue Standortbestimmung in Sachen Pop zu erfinden. „Let’s Be Adult“  schiebt sich sogar auf die Tanzfläche, mit Sprechgesang und wilder Chorführung. Doch der Refrain lässt das Tanzbein zucken. Groove Armada benutzten Teile des Songs in ihrem Track „Song 4 Mutya (Out Of Control).
Ambitious Lovers
Kurze Anrisse, die nach einer Minute schon wieder vom Erdboden verschwunden sind teilen sich den Playlistplatz mit Schunklern wie „Cross Your Legs“. Arto schreit, stöhnt und zuckt wie ein wild gewordener Derwisch durch die Rythmusschleuse. Knackige Krachfetzen lassen den armen Bass oft alt aussehen. Es klingelt und brutzelt an vielen Stellen. Natürlich haben die cheesy Keyboards alle Hände voll zu tun, aus schiefen Parts den Zuckergehalt zu filtern und so einen Unterbau für Weirdness zu schaffen. „Dora“ spielt die Liebesleier mit Tränen im Knopfloch und Straßenfestromantik. „Locus Coruleus“ greift Ministry vorweg und knüppelt sich an Herbie Hancock vorbei.
Die Avantgarde hatte so natürlich wieder viel zu berichten. Arto ließ noch zwei weitere Todsünden folgen, um dann alleine weiterzuziehen. Er öffnete sich noch mehr dem Bossa Nova und textete fast ausschließlich auf portugiesisch. Er zog sich immer mehr aus dem Rampenlicht zurück und produzierte lieber andere Künstler. Das Projekt Ambitious Lovers bleibt eines der einflussreichsten Experimentalkollektive der 80iger. Der Song „Pagode Americano“ bleibt bis heute bahnbrechend. Der nur aus Beat und Stimme bestehende Song, schafft es Stimmen zu bündeln und über ein Beatgeflecht zu setzen, ohne das andere Instrumente eingreifen. Früher Hip Hop also. „Envy“ ist das Aushängeschild der New York-Szene, die sich nicht nur in dunklen Kellerlöchern mit Krachmachen beschäftigen wollte. Die nachfolgenden Soloarbeiten Lindsays sind natürlich ebenso zu empfehlen. Wieder eine Weiterführung seiner Philosophie. Da wäre vielleicht das Album „O Corpo Sutil“ zu empfehlen. Doch entscheide selbst!
Envy erschien 1984 auf EG/Caroline

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