RM74 – Reflex

Das Leben ist eine langbeinige dunkle Krake. Es scheint ein verlassener Gasplanet zu sein, der von ihr durch stete Absonderung erschaffen wurde. Sedimente der Einsamkeit. Nichts ist da, was erkennbar oder begreifbar wäre. Trotzdem ist alles erfüllt von irgendwas, das einem den Atem raubt. Nichts hat ein Gesicht. Nichts schafft Erinnerung. Alles ist magnetisch. Und du bist allein.
Wie die Laokoon-Gruppe ist die Krake so sehr in sich selbst verschlungen und verknotet, dass sie ständig Gefahr läuft sich zu erdrosseln. Schon die kleinste Bewegung könnte tödlich sein. Vielleicht ist sie auch selbst der Planet. Aussen herrscht permanente Atemnot und in ihren Gliedmaßen fließt ein zähes Harz mit unmessbar langsamem Puls. Es dampft. Man kann nicht sprechen. Das liegt an der Dauertondichte, die jeden Metabolismus erstickt. Ein Leben unter der Glocke ständiger Bedrohung kann so unminimalistisch sein.
Es geht um die akustische Darstellung eines bis aufs äußerste angespannten Gefahrenzustands. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine äußere oder eine innere Bedrohungslage handelt. Fledermäuse, Viren und Fanatismus besitzen ähnliche Schreckensintensitäten. Auch der Dschungel der Düsternis ist immer noch angefüllt von alten Joseph-Conrad-Phantasien.
Für kurze Zeit öffnet sich dann unverhofft irgendwo hinten ein Tor, ein Spalt, eine Möglichkeit. Ein frischer Lufthauch lässt aufatmen, getragen von einer akustischen Gitarre, die sich einsam und selbstvergessen in den Vordergrund spielt.
Doch es bleibt bei einem klugen Intermezzo, das alles weitere noch schlimmer macht, in einer immer noch undurchdringlichen Atmosphäre, in einer immer noch unverständlichen Welt. Die Gravitation holt uns zurück, aber nicht auf den Boden der Tatsachen, denn den gibt es ja nicht. Und so sinken wir in das schauerlichste „Unendlich-tief-unten“ des ganzen Sonnensystems.
Die Wissenschaft jubelt. Sie wird schon bald die Zucht von modernen Exopflanzen propagieren und RM74 in einer Abteilung mit Coil, Rechenzentrum und Dirac weiter erforschen. Sie wird uns später genauer erklären können, warum RM74 so große Spuren bei uns hinterlassen haben wird. Sie wird Worte und Diagramme finden für die Tatsache, dass wir uns mit „Reflex“ für Generationen so gerne unwohl fühlen werden.
„Reflex ist im Mai 2010 bei Utech Records erschienen. Hörbeispiele gibt es hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.