Oval – Oh

Es war einmal ein Mann, der wohnte nirgends. Er zog durch die Dörfer und über das Land, verdingte sich gleichsam wortlos hie und da mal als Erntehelfer, mal als Küfer und manchmal auch als Knecht. Jeder kannte ihn. Wenn die Leute über ihn sprachen, dann klang es so als erzählten sie von einem naturgegebenen Schicksal. Seinen Namen jedoch wusste keiner. Nach vielen Jahren war das Staunen groß, als der Mann beim Erntefest der Bezirksstädter sein Schweigen brach und den kleinen Kindern lange Geschichten vom Älterwerden erzählte.

Nun ist also Markus Popp zurück. „Oh“ ist die erste Oval-Veröffentlichung nach fast 10 Jahren der Stille, eine EP mit 15 Stücken. Man weiß nicht so recht, ist es ein langes Kurzwerk oder ein kurzes Langwerk? Da noch eine Doppel-CD folgen soll, wohl eher Ersteres. Natürlich ist vieles anders geworden, als auf den bekannten Oval-Alben der 1990er. Der neue Ansatz ist gefunden.
Scheinbar akustische Instrumente, allen voran Schlagzeug und Gitarre stehen im Mittelpunkt. Aber ist das wirklich eine Gitarre? Wird hier Akustisches modifiziert oder imitiert? Die Irritation ist perfekt. Handelt es sich beim Repertoire der Instrumente nur um handelsübliche virtuelle Maschinen oder um mit virtuellen Instrumenten und Plugins nachbearbeitete akustische Instrumente, von Markus Popps Händen eingespielt? Controller oder Gitarren, die Frage bleibt offen. Aber das Arbeitskonzept sollte auch nicht überbewertet werden und den Blick auf das Werk verstellen.
Einzelne dünne Töne finden und sammeln sich zu kleinen Skalen und Ansätzen von Motiven in meist höheren Lagen. Sie erscheinen flatterhaft und variabel mit dem Flair des Authentischen, mit dem Gestus des dokumentierten Experiments. Stakkatos akustischen Saitenspiels stehen in losen Dialog mit einem versponnen improvisierenden Schlagzeug, das eine gewisse Ungebändigtheit ausstrahlt. Die Nähe zum Jazz ist offensichtlich und gewollt. Es geht um Freiheit.
Die Saiteninstrumente verändern ihre klangliche Ausrichtung immer wieder, ohne je ein konventionelles Gesicht zu bekommen. „Oh“ ist somit zunächst ein Klangexperiment. Nie hören wir Akkorde, höchstens so etwas wie Arpeggios. Meistens jedoch hören wir Klänge, die einem Flageolet verwandt sind. Dann wieder springen schnarrende Saiten in den Vordergrund und perlen sich als intime Nahfelderfahrung ins Gedächtnis. Sie verleihen nicht selten eine Anmutung von Harfenklang und schaffen eine introvertierte Stimmung.
Längst ist das Schlagzeug, das zu Beginn soviel Freiheit reklamierte, verstummt. Auch die zwischenzeitlich sehr sparsam eingesetzten Flächen im Hintergrund sind verschwunden. Verlangsamung und Vereinzelung bilden einen Rahmen. „Oh“ spannt darüber einen gelungenen Spannungsbogen und berichtet von einem Kompositionsexperiment, das sich von gängigen Produktionsprinzipien elektronischer Musik abwendet. Ob das nun ähnlich meisterlich ist, wie einige prominente Vorgängeralben, bleibt mit weiteren Indizien und der Folgeveröffentlichung genauer zu beurteilen. Ein Live-Konzert brächte sicher weitere sachdienliche Hinweise.
Am Ende stirbt das Saitenspiel in Einsamkeit. Oder stirbt es an Einsamkeit? Am Ende der Geschichten lächelte der Mann und die Kinder lächelten auch.
„Oh“ erscheint am 15. Juni bei Thrill Jockey.

0 Gedanken zu „Oval – Oh“

  1. hab auf hypemachine ein stück gehört und bin sehr gespannt! wäre es nicht verboten würde ich den doktor mirnichtsdirnichts um eine digitale kopie bitten…

    1. Danke für den Hinweis auf Opak. Auch wenn ich noch ein wenig Distanz halten wollte. Ja, ihr habt ja recht. Auf „Oh“ werden sehr feinsinnige Klangverschiebungen zwischen Akustischem und Digitalem entwickelt. Und dann auch rhythmische Überlagerungen ähnlich wie bei SND durch Iteration oder andere mathematische erstellte Strukturen betrieben. Die Kombination von beidem ist durchaus wegweisend.

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