Ratatat – LP4

Es wird viel über die Zunahme von Retro-Wellen und Retro-Moden, über ausuferndes Zitatentum, über Trost suchende eskapistische Rückbesinnung und postmoderne Endlosschleifen geklagt. Wir werden später noch erfahren, wohin uns das führt. Weiter als viele befürchten, allemal. Inzwischen warten alle auf das erste wirklich neue große Ding des 21. Jahrhunderts.
Man sollte allerdings in der Zwischenzeit nicht in übertriebener Erwartungshaltung erstarren. Dann erkennt man nämlich nicht, dass ein New Yorker Rock-meets-Electronica-Duo schon seit einigen Jahren Sounds und Popstrukturen der 1970er Jahre zu einem eigenständigen und zeitgemäßen Instrumentalpop synthetisieren. Jeff Lynne und Jason Forrest stehen schmunzelnd in der Ecke und reichen sich die Hände. Das Ergebnis ist mehr als nur retrochic und easy.
Erst nannten sie sich Cherry. Das war noch bis 2003 so. Dann begannen der Multiinstrumentalist Evan Mast und der Gitarrist Mike Strout ihre ersten Gigs zu spielen. Termine mit Franz Ferdinand, Interpol und Battles folgten, und so überraschte es nicht, dass Ratatat schließlich nach ersten Singles bei XL Recordings unterschrieben, wo sie heute noch zu Hause sind.
Beim nun vierten Album angekommen haben sie ihren charakteristischen Instrumentalpop-Sound perfektioniert. Zu der wie immer extrem sämigen Breitwand-Sologitarre und den fetten bis schillernden Synthesizerklängen treten diesmal echte Streicherarrangements und stellenweise auch Objektgeräusche. Letzteres klingt gleich zu Beginn wie eine Reminiszenz an Abbas „Money“.
Hier waren wieder einmal Klang- und Harmoniefetischisten am Werk, die ganze Arbeit geleistet haben. Ratatat schöpfen bei jedem Track aus vollen Töpfen. Klavier, Bläserklänge, Spinett, Synthesizer, alles in größtmöglicher Verzierung, in Kaskaden und Arpeggios. Alles klimpert zunächst mit naivem Gestus vor sich hin, um dann im berstenden Poparrangement zu explodieren. Das ist dann der Moment in dem die Sologitarre zunächst die Melodie und dann immer auch sich selbst feiert. Jetzt auch in der Familienpackung mit vocoderähnlichen Effekten! Es darf tatsächlich ein Dreiviertelpfund mehr sein. Ein 12ender ist besser als ein 6ender. Und 11 Papageien sind besser als 10 Kanarienvögel. LP4 ist ein Loblied auf den Unisonosound, der immer unersättlich ist nach neuen Stimmen. Eine Leidenschaft, die kein Ende haben darf und wird.  Jean Michel Jarre ist sprachlos und wendet sich mit neuer Hingabe seinen alten Haustieren zu.
LP4 erscheint am 4. Juni bei XL Recordings. Hörbeispiele gib es hier.

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