The National – High Violet

The National ist der Erfolg nicht zu Kopf gestiegen. Kann man überhaupt von Erfolg sprechen? Seit Jahren zaubern The National in ihrer Liga, lassen andere hinter sich und holen meistens auch den Liga-Pokal, doch der ganz große Wurf, der sie aus der Indie-Ecke ziehen könnte, blieb aus. Die alten Alben sind trotzdem kleine Meilensteine in unverwüstbaren Plattensammlungen geworden. Für jede Stimmung hatte Matt Berninger die richtigen Worte. Der Rock blieb in seinen Kinderschuhen und kratzte sich immer nur beiläufig den Bart. Schichten wurden getauscht, niemals abgesagt. Immer schielte der Folk als Blindschleiche oder eine Höchstnote durch den Blätterwald. Ein Darkroom für treue Seelen, die nur mal hören wollen. Popmusik für Weinkenner stand auf dem Etikett. Samtanzüge für die Kinder des Zorns.
Berninger kaute mit seinem Bariton alles weg, jeden Käsehappen, jede Essblume und ließ selten Luft zum Atmen. Energie und Kraft durchzogen ihre Dramen, die immer kurz vor der Zersetzung standen und nur Berninger holte das weiße Fähnchen aus dem Rucksack und winkte mit den Worten: „Alles halb so schlimm! Habe nur zu viel Leonard Cohen gehört.“
The National
Nun gibt es einen Nachschlag, der es in sich hat. Auch bei The National sind die 80iger nicht spurlos vorbei gezogen. New York ist neuer Standort und von dort aus gehen neue Hymnen ihren Weg. Alles perlt düster durch die Auslagen. Die Rhythmik von Bryan Devendorf steht im Vordergrund und dahinter paaren sich aufgeplusterte schwarze Vorhänge. Berninger gibt den Dichter und Zuvieldenker. Die Gitarren der Dessner-Brüder türmen sich zu meterhohen Gebilden auf, die nur mit schwebenden Synthies eingerissen werden können. Die Dramatik ist ständig spürbar, manchmal macht sie einem das Unglück noch unerträglicher oder eben leider auch wieder akzeptierbarer. Zweimal Minus ergibt Plus.
Natürlich ist der Orchestral-Pop der Jungs dick in Klopapier eingehüllt und die ersten Fetzen hängen lieblos herunter. Schönheit unter Wust. Die Mumie entwickelt sich im Liegen. Jede Steigerung bekommt einen eigenen Hall-Kosmos. Berninger bleibt in seiner Grundstimmung gefestigt und das ist wohl der Knackpunkt der Platte. Egal, was seine Kollegen ihm bieten, er macht daraus den Schwarzen Ritter mit Redebürfnis. Manchmal erinnert das an Joy Division oder an The Jesus And Mary Chain. Tindersticks ohne Valium.
Harsche Angriffe werden zu oft in Watte gelullt und der große Pomp zerfasert leider an der Gleichgültigkeit Berningers. Ihm reichen seine Zeilen vollkommen aus. Das Kellerloch ist zwar dreckig, doch die Putze wartet auf dem Treppenabsatz mit dem Eimer. Nach jeder Besudelung kommt das Orchesterteam und wischt mit dem Microfasertuch drüber und macht Kleines unnötig zu Großem. Man muss auch mal was liegen lassen können. Die Saubermänner haben Schiss.
The National räumen bis zum letzten Akkord alles auf. Die Melancholie lässt einen zu oft gelangweilt zurück. Jede geladene Pistole wird nach einigen Minuten zurück in den Nachttisch gelegt. Ich wollte doch Blut sehen. Doch Berninger und seine Jungs ziehen es nicht bis zum bitteren Ende durch. Ihnen reicht ein Bauchschuss. Der Gnadenstoß fehlt. Zu viele Hoffnungsschimmer zerstören die dunkle Stimmung. Auch die knochigen Gitarren werden einfach immer wieder ungefragt unterfüttert, um nicht zu schmal auf der Brust zu sein. Alles schön arrangiert, schön ausgeleuchtet, doch die Wattzahl war einfach zu hoch. Knipst das Licht endgültig aus, dann warten nicht nur die Champions-League und der Rathaus-Balkon, sondern auch der Himmel…
Erschienen bei 4AD

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