Die Gästeliste ist lang. Der Türsteher kontrolliert unbekümmert die Ausweise. Nicht jeder darf ins Studio, obwohl es beim Hören von „Forgiveness Rock Record“ manchmal den Eindruck macht. Das Künstlerkollektiv um Kevin Drew und Brendan Canning hat nach langer schöpferischer Pause zum Tee geladen und jeder, der gerade in der Nähe war oder aus dem Umfeld von Produzent John McEntire stammt, darf zur Veredelung seinen Beitrag leisten. Die Grundstimmung ist fast gleich geblieben. Das Wechselbad der Gefühle steht nach wie vor im Vordergrund. Der Bastelclub hat wieder Scheren ausgelegt und jeder darf einen Karton mitgestalten.
So ist „Forgiveness Rock Record“ ein Sammelalbum voller unterschiedlicher Klangergüsse. Jeder kleine Schnitt wird am Ende groß aufgerissen, so dass ein stimmiges Endergebnis durch die Boxen strahlt. Die Soundwand bekommt durch so viel Gemahle und Gemale löchrige Teile, die Drew und Canning zu kleben versuchen. Dieser Prozess macht viel Spaß. Diesen Spaß einzufangen war die Herausforderung McEntires, der natürlich immer den Auflösungsmechanismus in Gang setzt, um die Musiker zu neuen Verflechtungen zu drängen.
An den Rändern schimmern käsige Orgeln und der Space-Jazz. Rock erfährt eine Stützung und die Frisuren des Grunge bekommen neue Farben, um im Popdasein nicht wie ein alter, dahergelaufener Köter auszusehen. „Forgiveness Rock Record“ hält viele Ansätze und Geschichten parat, so dass einem ein wenig schwindelig wird. Gitarrenlärm kommt aus der Konservendose und klopft gegen den Deckel. Ein Dosenöffner hackt sich in die Oberfläche und lässt Luft rein. So strömen alteingelegte Düfte in den Klangkörper und mischen sich mit Endorphinen.
Wie auf einem Gemüsemarkt schreien sich die Händler ihre Preise entgegen und sticheln und kalauern auch schon mal. Die Songs der Broken Social Scene poltern gerne mal übermütig oder zerfallen in Kleinkunstkaliber. Der Spaßfaktor und das Einsetzen tausender Rädchen machen das neue Album so hörenswert. Hier wird gearbeit und alle machen sich die Klamotten dreckig. Kein Stargehabe, keine Sonderbehandlung. Nur McEntire an den Knöpfen hat noch den Lageplan, der Rest tummelt sich am Büffet.
Der Platz wird knapp, wenn bis zu neunzehn Musiker sich die Toiletten teilen müssen. Wasser wird gespart. Nur jeder Dritte benutzt den Abzug und so mischen sich die Ausscheidungen zu einem waghalsigen Etwas, dass um Kontur ringt, um im nächsten Moment der Kontur den Vogel zu zeigen. Warum muss alles ein Konzept besitzen? So war es doch bei Broken Social Scene immer.
Wenn der Tee von Leslie Feist kalt ist, kommt Emily Haines zum Aufwärmen vorbei. Der Indie-Lärm wird zu großer Orchester-Schönheit und der Dancefloor hat nur Houseanleihen im Schlepptau. Mal wird kurz und knackig runtergebratzt, mal gibt es Epik für Epileptiker. „Forgiveness Rock Record“ bietet wieder genug Spielwiesen für’s Lustwandeln. „Forced To Love“. Schöne Melodien kommen schon mal in die Plastiktüte und werden in die Ecke gepfeffert und mit Füßen getreten. Doch eine Entschuldigung später wird wieder gestreichelt und geküsst. Ein Stotterer bekommt logopädische Behandlungen und ein Blindgänger einen Schluck Zielwasser. Pop bekommt sein Fett weg. Aber nur die Halbfettvariante. Nichts soll zu dick aufgetragen werden oder sogar zu Durchfall führen. Alles haben die Oberärzte bedacht, auch an Schlaftabletten, um Slidegitarren zu rechtfertigen.
Die Stile beleben das Geschäft und Vielfalt macht den Käufer noch glücklicher. Jedes Eis wird in einem übergroßen Hörnchen gereicht, mit doppelt Sahne. Eine Leichtigkeit durchzieht „Forgiveness Rock Record“, dass einem manchmal Bange wird und man nach der Tiefe forscht. Doch muss immer alles so gewichtig oder essentiell sein? In der Popmusik schon lange nicht mehr. So bleibt die Broken Social Scene in den Kinderschuhen und spielt ihren Harmlos-Rock luftig runter und macht unbändigen Spaß. Das reicht doch, oder?
Erschienen bei Cityslang/Universal