Jeff Buckley war auf dem Sprung. Die Presse war auf ihn aufmerksam geworden. Die Mädels verguckten sich im Sekundentakt und auch andere Musiker zeigten sich gerne an seiner Seite. Sein Talent war außergewöhnlich. Seine Stimme, die mehrere Oktaven umriss, war voller Inbrunst und Tragik. A Star Was Born!
Eigentlich war seiner Stimme schon das Schicksal geschenkt, dass ihn in eine Schiffsschraube riss und für immer wegzog. „Grace“ blieb so sein einziges fertiges Studio-Album und bekommt überall den Klassiker-Stempel aufgedrückt. Doch was macht „Grace“ so gut? Ist es nur diese fliegende, heulende Stimme? Ist es die wunderbarste Cover-Version aller Zeiten? Ist es die famose Backing-Band, die Buckleys Akkordwirrungen entwirrte? Sind es die Songs? Oder ist es der Mythos, der Buckley auch heute noch umweht?
Auch ich muss zugeben, dass mich „Grace“ vom ersten Ton an gefangen nimmt. Die Songs tragen geschminkte Wunden und ufern popuntypisch gerne mal aus. Buckley spielte mit der Rolle des tragischen Großstadtjungen, der seinen berühmten Vater nur kurz zu Gesicht bekam, da die Trennung und der frühe Überdosis-Tod Tims ihnen im Wege standen. Der einsame Wolf ließ die Lefzen hängen. Das Tingeln durch die Clubs und auf die kleinen Bühnen dieser Welt war sein Lebens-Elexier. Er verpackte das Unverständnis, das ihm oft entgegengebracht wurde in große Worte und Songgebilde, die dem Drei-Minuten-Popsong die Teufelsfratze vorhielten und sich keinen Dreck darum scherten, dass die Welt wahrscheinlich noch nicht bereit war für neue Musik. Auch ein Major-Deal konnte da nicht helfen.
Jeff blieb der Sohn und der Geheimtipp. „Grace“ war gut durchdacht, doch auch zu kurz. Jeff entschied sich für zwei Coverversionen, um das Album zu füllen. Dass ihm „Hallelujah“ noch heute an der Backe kleben würde, hatte er damals wohl auch nicht geahnt. „Grace“ erschien 1994 und war ein erstes Ausrufezeichen. Jeff wurde bekannter, auch der junge Rufus Wainwright zeigte sich gerne an Jeffs Seite. Buckley löste sich langsam aus dem Schatten seines Vaters. Er bekam ein eigenes Gesicht. Seine Livekonzerte wurden zu Messen und Fans fielen vor ihm auf die Knie. Doch der große Medienwirbel blieb aus. Jeff blieb weiterhin ein Geheimtipp.
Vielleicht war seine Musik einfach zu unkommerziell, zu großspurig und fahrig, um das Bon Bon-Geschäft zu entern. Auch Jeffs Haltung und tranceartigen Auftritte mit Hall-Pickings waren schwer zu greifen. Seine Band verschnörkelte noch jeden schon da gewesenen Schnörkel. Mit Rock hatte das schon nichts mehr zu tun. Auch Benjamin Brittens „Corpus Christi Carol“ verstörte eher. Sind wir in der Sakristei? Jeder Verzerrer-Ausflug mit fliegenden Haaren machte Jeff noch weniger greifbar. Chris Cornell ist heute noch neidisch. Die Lederjacke war nur ein Umhang für Größeres.
Trotz Startschwierigkeiten war Columbia zufrieden und Jeff musste nachlegen. Die Songs standen schon. Alles war angerichtet, um die Welt zu erobern. Doch 1997 kam das Ende. Ein Badeunfall sorgte für Aufsehen. Der junge, talentierte Sohn des großen Folk-Barden Tim Buckley starb. So ging es um die Welt. „Grace“ wurde zum Vermächtnis. „Hallelujah“ zur Hymne. Tolle Songs machten sich nun endlich auf die Reise, um von größerem Publikum die Anerkennung zu erhalten, die sie verdienen.
„Grace“ ist ein wunderbares Stück Pop-Geschichte. Es spielt mit Erwartungshaltungen, mischt wunderbar die Stile und klebt zuckersüß über den Neunzigern. „Grace“ klingt auch heute noch zeitlos und versponnen. Jeffs Stimme leiert und jault. Jedes Vibrato bleibt dir im Halse stecken und man fragt sich, was wohl heute wär? Doch das steht auf einem anderen Blatt. Jeff Buckley wird immer in Erinnerung bleiben und „Grace“ bleibt ein Werk voller versteckter Details und heftigen Gefühlsausbrüchen. Ein letztes Goodbye. Knaller!
Erschienen 1994 bei Columbia.