High Places – High Places vs Mankind

Es raschelt und tönt nach. Der Beat wiederholt sich in einer langen Spule und Mary Pearson spitzt die Lippen zu einem Kussmund. Lipgloss schmeckt nach Rosenkohl. Die neu entdeckte Gitarre darf kleine Figuren anzupfen, bleibt aber auch nur ein Bruchteil des Konzeptes. Alles klingt und flutet dir die Rinde weg. Wenn du nicht aufpasst, bleibt das für immer. Tinnitus der besonderen Art.
Loops drehen ihre Runden und Psychedelic wird der Teppich unter dem Hosenboden weggerissen. Das Fagott steht in der Wohnstube und guckt blöd aus der Wäsche. „Das alles kommt aus diesen kleinen Geräten?“ „Geh nach hause, Baby.“
Ein Hauch von Dub umweht die Nasenspitze der Neu-Kalifornier. Robert Barber klöppelt auf seinen Pads herum, als wäre er die Reinkarnation David Byrnes und würde für Proberäume in Williamsburg sammeln. Die hohen Gesangs-Ausschweifungen holen die Sundays aus der Wochenendbeziehung und kuscheln mit choralen Fliegengittern, um die Gunst des Beutefangs. Engmaschig muss es sein, sonst flutschen zu viele Kleinwüchsige hindurch.
Alles klebt und dickt an. Sämig angerührt schwelgen Pastelltöne in Sommerlöchern und flicken alte Flip-Flop-Riemen. Jeder Tropfen schmalzt in der Auslage alles voll, die Elektroverlustierungen suppen dir die Schüssel voll. Bis an den Rand gefüllt mit Brooklyn-Spleen und Batik-Romantik. Süßholz-Raspel stecken in deinen Barfüßen. Obwohl der Zug durchs Wohnzimmer rollt, wünschst du dir ein Einrad.
Marys Stimme ist reiner, ja fast echt. Auf dem Vorgänger „High Places“ dienten noch Reverb-Pedale und Delay-Schwurbeleien zur Verzierung. Hier kommt ihr Gesang fast nackt um die Lichtung. Die Sonne lächelt gelb und lässt deine Augen zusammen kneifen. Die große Klanggeste schwebt über Balkonien und lässt den Autolärm wie einen Bienenschwarm klingen. Überall sind die „High Places“ zuhause. Auf dem Wasser, in der Luft, im Bett oder auf den Hügeln.
high places
Wenn nicht gesungen wird, wird gedaddelt und der Gong holt dir die Mittagspause zurück. Lange Soundteppiche fliegen dir um die Ohren und laden dich auf eine Reise ein, doch du wartest geduldig auf den Elefanten. Die Natur ist dir ins Haus geflattert und nervt deinen Mitbewohner. So viel Luft kann ein Großstädter nicht mehr vertragen. Bläser tröten dir organisch die Birne weich.
Der warme, ja fast glitschige Sound ist geblieben, wenn nicht sogar durch die Einführung der Gitarre noch gewachsen. Auch die neue Klarheit der Stimme macht „High Places vs Mankind“ amtlicher und flexibler. Die Stimmung wirkt komplexer und die Beats stehen mehr in der Hüfte. So ist das neue Album eine Weiterführung alter Rituale, mit einigen neuen Hilfsmitteln, die ihre Berechtigung in fast allen Tracks rechtfertigen. Der Minimalismus gehört zum Understatement, wie ein Worlmusic-Fanzine. Dance-Rhythmen verzieren den Blumenstrauß mit einem Hauch von Avantgarde. Abhängigkeiten werden zu Langzeitromanzen. Alles schiebt sich in Richtung Sonnenfinsternis, in der alle für kurze Zeit die Hand des Nebenmannes drücken, ohne sich dabei katholisch-berührt zu fühlen.
Ein Stereoeffekt holt dich von der Plastikinsel. Die Großstadt schnieft dir ihren Smog um die Augenpartie. Das hätte ein Visagist nicht besser hinbekommen.
Erschienen bei Thrill Jockey

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