The Irrepressibles – Mirror Mirror

Das große Theater bricht über dich herein. Mit Schminke, Kostüm und Souffleuse wird Saurer Regen dargestellt. Der Sonnenkönig reicht dir sein Taschentuch und du wedelst ihm Luft zu. Schattenspieler krümmen sich zu Kellerasseln. Textsicher schlawinert Jamie McDermott über die Bühne. Mit dem Kajalstift malst du dir einen Punkt auf dein weiss geschminktes Gesicht. Dein Method-Acting-Coach redet von Übergewicht. „Doch, das gehört zur Rolle!“, versuchst du dich zu verteidigen. Das Clownskostüm hat nichts mit Ronald McDonald zu tun. Das Leben ist mehr als nur Cabaret.
Schrulliger Kitsch mit Klaus Nomi-Kullertränen tänzelt im großen Stil an deiner Loge vorbei. Der Hype lässt dich für einen Moment sexuell gefrustet zurück, doch ein Dandy-Lächeln gibt dir wieder Hoffnung, dass der Märchenwald noch irgendeinen geilen Troll aus den Bäumen zaubert. Das Schimmelpony schnaubt gedankenverloren hinter der Bühne. Im Trog nur ein Hauch von „Möhrendurcheinander“.
The Irrepressibles verglamouren das Tagesgeschäft mit klassischer Orchestrierung. Jamie McDermott macht den Papageno und neun weitere illustre Gestalten nehmen am großen Fressen teil. Für jeden Gang ein neuer Teller und der passende Wein. Großzügig kommt „Mirror Mirror“ daher. Der Blick in den Spiegel verspricht Klarheit und Eleganz, doch der Betrachter ist nicht immer ganz zufrieden mit dem Gezeigten. Eine Locke ist zu lang, manchmal zu viel Rouge an den wichtigen Stellen, das Parfüm stinkt teilweise nach Hobbykeller und die Damen pinkeln im Stehen. Doch so ist das mit dem Pomp, alte Zeiten brauchen alte Gewohnheiten.
the irrepressibles
Antony Hegarty kommt immer gern auf ein Croissant vorbei und lässt schon mal sein Stimmband da. Der Hofdoktor verpflanzt zeitig Teile davon in McDermotts Hals. Das Blut tropft reibungslos ins Nierenschälchen. Barock-Pop nestelt an deinem Hosensaum. Die Opernbühne greift nach den Sternen und will in die Herzen verwahrloster Indie-Gören, doch viele verkennen die Pracht und den Glanz einer Performance-Truppe. Zu viel Kalkül steckt oft dahinter, zu viel snobistischer Überlegenheitsgedanke. Eine Spur kleiner gemacht, ein bisschen mehr Gefühl statt Pathos hätte den Songs gut gestanden. Doch trotz alledem ist „Mirror Mirror“ der Irrepressibles ein geglücktes Unterfangen. So viel Glamour darf nicht nieder geredet werden. Der Zauber und die Dramatik kommen halt nicht immer auf leisen Sohlen, sondern auf marktschreierische Weise, gerade im gestressten London.
Patrick Wolf wird neidisch dreinschauen, wenn er „Mirror Mirror“ aufs Grammophon legt. Die britische Musikszene feiert und wenn es „Schwein mit Apfel im Mund“ gibt schaue ich auch gerne auf einen Happen vorbei. Könnte aber auch sein, dass Rufus Wainwright gerade dann Einweihung feiert und so wäre er wohl meine erste Wahl. „First love, first kiss!“
Erschienen bei Cooperative Music/Universal

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