Autechre – Oversteps

Der Weg ist langsam ansteigend und kurvig. Hoffentlich sind wir bald auf dem Gipfel angekommen. Oder können ihn zumindest schon sehen. Die Flanken des ersten Berges sind flach. Der Aufstieg erfordert ein wenig Geduld. Einen lange Blende scheint endlos in unbekannte Höhen zu führen. Alles brummt irgendwie glockig. Dann endlich lichtet sich das Dickicht ein wenig, Rhythmus setzt ein.
Rob Brown und Sean Booth sind mit ihrem zehnten Studioalbum zurück. Und es gelingt ihnen eindrucksvoll mit einer Rückbesinnung auf Klarheit, Tonalität und harmonische Schichtungen zu überraschen. Die Nebel klanglicher Unübersichtlichkeit lichten sich wohltuend und das Stilmittel Verzerrung, dass durchaus noch charakteristisch ist, wird auf einen Platz weiter hinten im Parkett verwiesen.
Dafür drängen glockige Klänge von manchmal kristallklarer Schönheit in den Vordergrund. Diese solieren ebenso filigran wie versponnen vor sich hin; etwas selbstvergessen und scheinbar richtungslos. Es gibt nie ein harmonisches Happy-End, sondern ein jederzeit offenen Ausklang in Unbestimmtes. Glücklicherweise werden die Motive nie von Noise-Kontrasten überfahren, sondern dürfen am Ende einsam in den Weltraum entweichen.
Immer noch wird bei Autechre um die Ecke gedacht. Nie sind die Strukturen einfach. Nach wie vor bilden die Verwickeltheiten, die Gegenläufigkeiten, die Stolpersteine, die Kanten und Abbrüche wohltuende Kontraste zu der darüber geschichteten tonalen Ästhetik. Doch niemand hat es nötig damit zu prahlen. Es geschieht in entspannter Beiläufigkeit.


„Oversteps“ ist ein dichter Dschungel angefüllt mit einer Vielzahl von Feinheiten, Ideen, Skizzen und ausgelebten Utopien. Jeder Gedanke hat hier seinen Platz und wird zu seinem Ende gedacht, gleichgültig wie abwegig er auch ist; gleichgültig wo sich das Unterholz auch lichten wird. Der Kompass bleibt auf jeden Fall zu Hause. Denn eines steht fest. Für Autechre ist Versponnenheit immer noch eine Zier und keine Schwäche. Es gibt viel zu entdecken.
Oversteps ist bei Warp erschienen.

0 Gedanken zu „Autechre – Oversteps“

  1. hmmm….versponnen? ich fand autechre schon immer sehr klar. das „stilmittel“ verzerrung habe ich bei denen auch nicht immer so wahrgenommen. autechre haben mit „oversteps“ vor allen strukturell entschlackt und das klingt dann einfach musikalischer (tonaler, eingängiger, wohltuender). das ist aber keine rückbesinnung auf die allerersten alben, sondern ein löblich-progressiver, ganz grosser schritt nach VORN.

    1. Was die Rückbesinnung angeht, habe ich mich vielleicht etwas ungenau ausgedrückt. Das war nicht im Sinne von Rückschritt gemeint, dass sehe ich durchaus als qualitative Bereicherung, mithin auch als musikalischen Fortschritt. Und was die Verzerrung angeht hast du wahrscheinlich recht. Die Erinnerung spielt einem ja bekanntlich gerne Streiche. ich habe gerade noch mal in die Tri Repetae reingehört. Die ist ja so gar nicht verzerrt. Ich hatte das ganz anders im Kopf.

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