Trittbrettfahrer bevölkern die Open Air-Festivals. Auf jeder Zeltbühne tummelt sich ein Grunge-Zombie. Auch die Blood Red Shoes tauchen ihre Songs in Nirvana-Nevermind-Blau. Das Duo aus Brighton knüppelt poppiges Rockgegrätsche und verbreitet Keller-Stimmung mit offenen Springerstiefeln. Laura-Mary Carter tritt ihre Distortion-Pedale wild und ungestüm. Über die Riffs krakeelt sie in Shirley Manson-Manier, dass alles immer wieder passiert. Welch‘ Überraschung! Das hätte ich ihr auch sagen können, dafür muss sie nicht umhertingeln und die Schwalben vertreiben.
Ihr Partner Steve Ansell haut die Snare unbeeindruckt. Warum sollte er auch das Tempo drosseln, hier ist die Indie-Disco und die duldet keine Midtempo-Nummern. Obwohl das Aufwachlied „When We Wake“ lässt das Englische Frühstück doch verhältnismäßig in Ruhe brutzeln. Die Bohnen schwimmen in Fett und Laura-Mary erinnert sich an die Spinanes. Oder war sie zu der Zeit noch gar nicht geboren?
Ein Duo mit Klampfe und Schlagzeug hat immer was aulamäßiges. Bei jedem Song kommt der Musiklehrer herein und sagt: „Nicht so laut!“ Könnte Spaß machen. Auch Steve möchte singen. Er bettelt um einen Kompromiss. Manchmal ist sein Gezischel lauter als das von Laura-Mary. Des öfteren macht er sogar den Shouter. Brian Molko fällt die Schminke von den Tränensäcken. Frech die Jugend heutzutage!
Die Songs haben schon Hand und Fuß, so ist es nicht, doch die Rakete zündet nicht richtig. Das große Feuerwerk bleibt aus und die Tanzfläche leer. Die Pogo-Nation ist schon zur nächsten Punk-Veranstaltung weitergezogen. Britpop sieht anders aus. Rock leider auch. Sich an Größen wie Placebo zu halten, tut halt nicht gut. Wenn man schon klaut, sollte das Diebesgut doch in der Nacht herrlich leuchten. Diese wiederaufladbaren Taschenlampen erlischen schon, nachdem du das Auto verlassen hast, um Erste Hilfe zu leisten. Mund zu Mund-Beatmung in totaler Finsternis. Du sucht verzweifelt nach den Lippen.
Jeder Strophen/Bridge-Wechsel zerbricht an der Straightness. Ein wenig mehr Dreck würde den Songs gut stehen. Doch kein Wackler und kein Verspieler oder übermütiger Pfusch-Part taucht die Lieder in Blutlachen. Blood Red Shoes spielen mit der Tarnkappe „ROCK“, ohne deren Bedeutung verstanden zu haben. Eine Tarnkappe muss in gewissen Momenten übers Haupt gezogen werden, um die Ungläubigen mit einer Handlung aus dem Nichts zu erschrecken. Meine Mutter können sie so nicht mehr verstören, obwohl die sitzt ja auch morgens mit einem GWAR-T-Shirt am Frühstückstisch und spachtelt Würstchen. Blood Red Shoes zerstören den Mythos der Mann/Frau-Rockoper. The Spinanes seien hier nochmals empfohlen. Blood Red Shoes machen noch nicht mal Blasen!
Erschienen bei Cooperative Music/Universal