Shearwater – The Golden Archipelago

Wie weit sind wir schon gesegelt? Der Anlegeplatz ist schon nicht mehr zu sehen. In der Kombüse dudelt Pink Floyd und Kate Bush ist als Galionsfigur unter dem Bugspriet angebracht worden. Es wird eine lange Reise werden mit einem Ziel, das wohl nur der Kapitän kennt. Der Mannschaft ist es anscheinend schnuppe, denn wenn man sie befragt schüttelt die geschlossen den Kopf. Ein Team hält zusammen, gerade bei so hinterhältigen Fragen. Alle Karten sind von Bord geschafft worden. Austin, Texas ist ausradiert.
Shearwater bringen Ruhe in den Alltag und schippern ruhigen Gewissens durch die Natur, doch mit dem Wissen, dass es irgendwo vielleicht leichter wird. Das Leben bietet unendlich viele Schlupflöcher. So auch die Musik. Die Band Okkervil River, der Jonathan Meiburg angehörte, war schon ein Ausbruch aus der Tristesse Austins, doch Shearwater, welches als Projekt begann, entwickelte sich zum Lebensretter. Will Sheff ging zu Okkervil River zurück, doch Meiburg blieb an Bord und suchte Gleichgesinnte. Kein Problem bei so viel Dramatik.
Die Schönheit der dunklen Welt entwickelt sich auf „The Golden Archipelago“ wie ein Sog. Immer tiefer sickerst du in die Untiefen der menschlichen Seele und eckst fast überall an. Die Enge macht dich wahnsinnig. Die Klavierparts nehmen dir jedes Salzkorn von der Haut. Ist wirklich alles so grausam? Die Gitarren bewegen sich auf dünnem Eis, brennen hier und da sogar ein paar Löcher in die Oberfläche. Shearwater sehen sich selbst als Eisbrecher und dümpeln ständig zu Orten, die von der Außenwelt abgeschnitten sind, um Labskaus zu verteilen.
innen

Die psychedelischen Experimente verfliegen so schnell, wie sie gekommen waren. Der Gesang von Jonathan Meiburg schwebt über das Parkett, nie zu laut, eher gedrückt. Ein Winseln wird zur Totenwache und der Ausbruch scheint nur eine Frage von Sekunden. Der Lagerkoller ist vorprogrammiert. Rock wird nur kurz gestriffen, da darf auch mal Dissonanz walten und ein verzerrter Bass das fast hysterische Kreischen Meiburgs untermauern.
Holz wird zersägt, um das Deck zu fluten. Ein Adventure-Törn der verrückten Art. Mit Eimern versuchen wir das eintretende Wasser wieder von Bord zu kippen. Meiburg lächelt. Eine Ausnahme! Das Wasser plätschert gegen das Holz. Immer mehr sprudelt hinauf. Die Crew spielt Poker um Erbsensuppe. Der Matrosenchor versucht sich an Gospel und kurz darauf bricht die angesagte Regenfront rein. Auch das noch.
Folk wird hier als Schwarze Messe benutzt, bei der jeder Komparse genutzt wird, um das Deck voller aussehen zu lassen. Tagelöhner sind auch hier die Gearschten. Zur Freude der anwesenden Kinder versucht Meiburg eine Kartoffel mit bloßen Händen zu zerquetschen. Frauen sind nicht anwesend oder war der Kapitän eine Frau mit hochgesteckten Haaren und angeklebtem Bart, denn Kimberly Burke muss ja auch irgendwo sein? Ihren Bass hört man meilenweit. Die Perkussioneinlagen bollern an deinem geistigen Auge vorbei. Sind das Schnapsflaschen, die da klimpern? Das Schifferklavier begleitet dich zur Seebestattung. Meiburg erinnert an Mark Hollis und die ungewöhnlichen Klanginstrumente haben eine Präsenz, die dich deine Seetauglichkeit in Frage stellen lassen. Die lauten Passagen, mit halligen Feedbackattacken gewürzt, werden gegen den Wind gefeuert. Auch sie verklingen immer schon nach Sekunden. Die Pianochords holen Tears For Fears-Taue aus der Bootsverkleidung. Eine Insel erscheint am Horizont. Ob die Mannschaft es dort zusammen aushält? Sie steht eh schon vor Mord und Totschlag, da ein blinder Passagier beim Pokern den Erbsensuppen-Vorrat mit einem Bluff gewonnen hat.
„The Golden Archipelago“ blufft genauso. Täuscht die Straße an, hat aber nur ein Pärchen. Manchmal reicht das für den Pot, doch oft wird dieser Versuch durchschaut und man geht leer aus. Shearwater machen unbeirrt weiter und segeln der Abendsonne entgegen. Die nächste Meuterei ist aber nicht auszuschließen. Drei Knoten gibt es für die Dramatik. Einen halben für die Haltung. Wem das reicht?
Erschienen bei Matador

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