Der Weg in die Zone ist so flüchtig, wie die Gedanken der Menschen, die die Verwegenheit besitzen ihn zu gehen. Verlassenheit zersetzt jeden noch halbwegs vernünftigen Gedanken in schleichende Angst. Unwirtliche Bereiche, die kein Mensch freiwillig durchwandern möchte, erscheinen auf einmal endlos. Auch die Tiere sind verschwunden. Hier und da tauchen Ruinen zwischen den Nebelbänken auf. Irgendwo im Gestrüpp tropft etwas, eine Andeutung, ein Rauschen. Der Puls schlägt langsam. Naturgewalten erobern eine von den Menschen längst aufgegebene Landschaft zurück, darin die Relikte ehemaliger Technisierung dampfend verfallen. Es ist kalt.
Mit „Silence“ ist Robert Henke deutliche musikalische Variation zu früheren Alben gelungen. Dennoch ergibt sich ein Gesamtbild, das typisch monolakesche Züge trägt, eine runde Sache. Neu ist die Einbindung von Tonmaterial, das bei Fieldrecordings entstanden ist. Naturgeräusche, wie das Rauschen des Windes im Grand Canyon, Gewitter, Klänge technischer Art, Betriebsgeräusche von Klimaanlagen, Metallschläge aus einem Kraftwerk und Stimmenansagen auf Flughäfen gehören zum eingebetteten Klangfundus.
Ein Tropfen, ein Rasseln, ein Klappern. Es flimmert filigran. Die perkussiven Naturklänge stehen oft prominent im Vordergrund. Wie tickende Uhrwerke haben sie ihren eigenen Rhythmus, der spannungsreich gegen den der Basis läuft. Doch die Uhrwerke schwanken. Erst Verzögerung, dann wieder Beschleunigungen, Hektik, ein Prasseln. Pause. Ungewissheit ist in jeder Pause. Unentschiedenheit ist in jedem metallischen Scheppern, das wie eine aufgezogene Feder, die kurz vor der sich geräuschvoll entladenden Explosion steht und zu knirschen scheint.
Man hält unwillkürlich inne. Denn das raubt den Atem. Im Hintergrund werden metallische Saiten malträtiert, die sich in langen weichen Hallfahnen auflösen. Nebelbänke.
Gleichzeit setzt Henke als Basis auf das, was charakteristisch für Monolake ist. Meist träge entschlackte Beats, zurückgenommene Bässe, überhaupt wenige, aber um so betontere tonale Ereignisse, vor weichen Atmosphären, die große spröde Klangräume abbilden. Da taucht sogar ein karger Dubstep in dunklem Gewande auf. Dann wieder Stimmen, die keine Herkunft zu haben scheinen, entmenschlicht sind, Automatismen. Einzig eine zweisprachige Anrufbeantworteransage auf „Reconnect“ holt einen tatsächlich für einen kurzen Moment in vertraute Alltäglichkeit zurück.
Insgesamt ist die räumliche Staffelung unterschiedlichster Klänge sehr gelungen. Der Reigen der Naturgeräusche schockgefriert die ohnehin schon kühle Atmosphäre in kristallklare Nullpunktnähe und fügt sich mit den eingedampften Beats zu einem harmonischen Ganzen, schaurig schön.
Doch halt, es gibt noch eine andere Form von Zivilisation. Aber ist es diejenige, die wir immer zu erhoffen glaubten? Jetzt nur keine ungewollte Berührung! Die Handflächen frieren schon nach Sekundenbruchteilen auf den Innenseiten der Panzerglasscheiben des Biosphärenreservats fest. Und der Gehalt menschlicher Wärme pendelt sich endgültig auf dem Niveau von THX 1138 ein. Gibt es einen Weg zurück?
Silence ist auf Imbalance Computer Music erschienen.