Schweden-Folk? Was es nicht alles gibt! Die beiden Söderberg-Schwestern klampfen um die Wette. Die Jahreszeit ist richtig, die Pullover sind aus Wolle und die Gitarren ohne Strom. Was kann man da schon falsch machen? Jeder Foto-Automat nimmt die beiden mit Kusshand. Locker werden Freistunden zu Kammerkonzerten. Die Schule bleibt ein graues Gebäude, doch der Musikraum riecht nach Weiter Welt und veganem Catering. Süß sehen die Teenies aus. Girls von nebenan halt, ohne auf Seite 3 zu wollen, die ein Hauch von Ikea-Keksen und Patschuli umweht.
Die Jungs in der Klasse werden wohl ständig nach Backstage-Pässen fragen und wollen mit den beiden Mädels um den Globus reisen. Die Geographie-Karten sind schon mit Fähnchen bepikst. Doch Klara und Johanna reisen lieber allein mit den Akustischen durch die Welt und verzaubern ein ergrautes Publikum mit ihrem jugendlichen Charme. Einmal nochmal sechzehn sein, Pickel ausdrücken und Nick Drake entdecken. Die ersten Schwärmereien empfinden, die ersten zaghaften Annäherrungen bei der Hobbykeller-Party über sich ergehen lassen. Flaschendrehen mit Knutschen! Wenn nicht Mutti immer Limonachschub bringen würde, könnte eine Orgie entstehen. So bleibt es beim Ringelpiez ohne Anfassen.
Doch First Aid Kit können noch mehr. Sie können spielen und bezaubernd singen. Wunderbar singen! Ihr Musikgeschmack hatte schon vor einiger Zeit die Fachpresse zu Lobeshymnen geritten. Ein Fleet Foxes-Cover kann schon mal den Weg in die Gazetten ebnen. Doch Bubblegum wird nur im Kinderzimmer gekaut. Lolita bleibt Romanvorlage.
Wenn die Lichter angehen werden die beiden zu verhuschten Elfen, die sich in den schwedischen Wäldern vor der bösen Welt verstecken. Ihre Stimmen sind zärtlich und umkreisen sich, wie ein Liebespaar beim Balztanz. Die Gitarren werden so sanft gezupft, dass als Saiten auch weich gekochte Farfalle dienen könnten. Esoterik hängt nur als Banner über der Schlafcouch. Macht sich halt gut im Lebenslauf.
Auch der so genannte Freak-Folk bleibt in der Plattensammlung. Klassisch geht es zu und bemerkenswert reif. Die Söderbergs haben ihre Hausaufgaben gemacht und bekommen einen Smiley unter ihre Arbeit. Man wünscht den beiden ein bisschen mehr Humor. Das Album klingt ein wenig zu durchdacht. Keine Ausbrüche und keine Wendung zu neuen Ufern. Die amerikanische Folktradition wird gepflegt gehuldigt, doch so viel Tiefe nimmt man den beiden Gören nicht immer ab.
Wo ist das pubertäre Gegacker, das drollige Verführungsritual? Trotzdem ist „The Big Black And The Blue“ ein reizendes Pausenbrot. Flöckchenweise wirklich zauberhaft, als ganzer Riegel aber zu trocken. Mädels, Taschentücher weg und Cat Power Cat Power sein lassen! Dann kann der Wollpulli auch als sexy Abendgarderobe überzeugen. Mehr Mut zur Jugend! Wenn nicht jetzt, wann dann? Herzen wärmen ist nicht alles. Manchmal muss man auch Herzen brechen…
Erschienen bei Cooperative/Universal