Wir schlendern durch Ost-Sachsen in England. In der Luft klebt ein beißender Abwassergeruch und natürlich regnet es. Der Knirps bleibt ständiger Begleiter. Southend-on-Sea versucht seine berühmtesten Bewohner mit einem Vergnügungspier zu erotisieren. Jedes hart erarbeitete Pfund wird in einen Daddel-Automaten gesteckt. Hier kommst du nicht so schnell weg. London scheint Lichtjahre entfernt. These New Puritans schauen trotzdem über den Tellerrand. „Was machen die Anderen?“. „Gut, dann machen wir was anderes!“.
Britpop ist was für Mods und eure Gitarren können hier nicht punkten. Hier wird die Suche nach einem transzedenten Verständnis der göttlichen Ideen, welche sich hinter der sichtbaren Welt befinden, auf neueste Weise in den Popkontext gedrückt. Wer zettelt endlich einen Krieg an? „We Want War!“. Eines ist gewiss, nämlich dass die Numerologie hinter allem steckt. Pseudowissenschaft hin oder her. Doch die Verknüpfungen von Zahlen und Ereignissen lassen einen Pub-Besuch mit einer Menge Striche auf dem Bierdeckel mystisch erscheinen.
These New Puritans verwirren und schockieren. Japanische Trommeln geben den Rhythmus vor. Steve Reich nippt genüsslich am Met. Unheimliche mitteralterliche Chöre schwimmen gegen den Strom. Die Kutten saugen sich schnell mit Wasser voll und diese Schwere zieht dich rasch in die Tiefen der Dramatik. Schmerz gibt es an jedem Kiosk in Tüten. These New Puritans packen gerne auch noch Effektgeräte hinzu. Kolossal werden R’n’B-Champagner-Flaschen ausgeschenkt. Ohne Aufpreis.
Die Blechbläser geben dir die verlorengegangene Menschlichkeit zurück. Gewalt spielt im Ensemble nicht die letzte Geige. Der Bass brummt in deinem Schädel und dann nach langer Zeit erwartet dich ein kleiner Popverweis. Die kurze Freude lässt dich noch mal in die Bibel blicken. Unter Ketzer findest du endlich deine Bestimmung. An jedem Baum wird gerüttelt, holt sie von den Bäumen! Runter mit den Angebern, die immer alles zerreden müssen. Dort oben darf niemand hocken. Weitblick ist strengstens verboten. Knüppel aus dem Sack!
Der Gesang von Jack Barnett quält sich durch dick angelegte Arrangements. Immer nur als Teil, nie ist er der Chef. Er ergibt sich freiwillig dem Großen und Ganzen. Mark E. Smith trifft John Dee an der Wursttheke. Heute steht Pannas auf dem Wunschzettel.
Überall plockert und kratzt es. Jeder Arzt würde Neurodermitis diagnostizieren. Schorfbildung ist auch auf dem Stundenplan. Gleich nach Philosophie.
Die Avantgarde betritt das Vergnügungspier und hat die Taschen voller Münzen. Heute werden Kulturgüter verschleudert. Du holst zum zehnten Mal deinen Schirm aus der Tasche. Deine Goretex-Jacke schwimmt so schön in der Themse. Schutzkleidung ist doch was für Memmen. Deine frisch rasierte Brust ist nun ganz rot. Kalt draußen.
Am Ende ist das Orchester allein. Die Band sitzt Backstage und schreibt Zahlenkominationen auf die Cateringboxen. „Damit die Angestellten morgen was zu knobeln haben!“. These New Puritans schieben ein zweites Album nach, dass wirklich nicht einfach zu konsumieren ist. Doch genau darum geht es den Ost-Sachsen. Verwirrung stiften, anecken, polarisieren und gelegentlich betören.
Eine scheue Schönheit, die experimentell mit ihren Haaren spielt und eine Harfe aus Dornen in den Händen hält. Gothic für die Ungeschminkten. Der Bodennebel wird von halbnackten Tänzern ins Firmament befördert. These New Puritans gehen den erschwerlichen Theaterweg. Sie schneiden mit Scheren mehrere Gucklöcher in den Vorhang, um sehen zu können, ob das Publikum nach der Aufführung noch sitzen bleibt. Falls irgendwer es wagt aufzustehen, wird der japanische Trommler noch mal rausgeschickt. „Klopp’ sie weg!“ Meisterwerk oder Unfug? Eines kann ich versprechen: „Dir wird der Marsch geblasen!“.
Erschienen bei Domino