Charlotte Gainsbourg – IRM

Der Hauch des Liedhaften hatte einst identitätsstiftende Wirkung für ganze Kulturnationen, und das liederlich gehauchte, welches damals Legendenstatus errang, schien erst in seiner tonalen Ausdruckslosigkeit alles auszudrücken. Insofern mochte es ebenso folgerichtig wie behutsam sein, dass Charlotte Gainsbourg für ihr nach Jahren der erfolgreichen Schauspielerei drittes Album „5.55“  mit den eloquenten Pop-Erneuerern Air eine mehr als gelungene Zusammenarbeit erreichte. Denn in Air sieht der internationale Blick die Linie nicht nur der traditionell französischen Unterhaltungsmusik konsequent ins 21. Jahrhundert transformiert.
So geriet der Weg von der Wissenschaft des Schlafens zum verwandten Fach der Wissenschaft des Hauchens zu einem wohlgeschliffenen. Beides sind schließlich Kernkompetenzgebiete von Prinzessinen, den Stars der ganz alten Schule. Den Atem immer schön flach dosieren, erstens aus Gründen der Hypersensibilität, denn in mehr als homöopathischen Dosen ist die ordinäre Welt schließlich nicht zu ertragen, und zweitens wegen der stets zu erhaltenen Pose der Erhabenheit über eben diese Welt.
Nun besorgte also Beck das Songwriting für das aktuelle Album „IRM“, der auch schon auf dem Meisterwerk „10.000 Hertz Legend“ mit Air zusammenarbeitete. So schließen sich mal wieder Kreise. Das Ergebnis ist ein zartbitteres Hin und Her zwischen der Erhabenheit des bereits eroberten Genres Chanson und einer seidenweich gezeichneten Hinwendung zu Pop und Rock. Weichgezeichnet mit so sicherer Hand, dass man den Blues nicht nur für den letzten Song mit der Lupe suchen muss. Vielleicht wird man einstmals von der Wissenschaft des sich Zierens sprechen müssen.
Das typische an der Beck’schen Handschrift, die eingedampfte reduzierte Klarheit auf den Beat eines Rocksongs oder Bluesmotivs und das Konterkarieren desselben mit einem harmonisch kuriosen Thema, bringt die Prinzessin Gainsbourg aus rein musikalischer Sicht durchaus charmant zu einer erneut glänzenden Geltung. Doch ist diese Reise in die niederen Gefilde des Pop noch ihrem Stande gemäß? Ist sie nicht verurteilt, früher oder später, als eine unter vielen Pop-Chanteusen in der Versenkung der Beliebigkeit zu verschwinden? Alles in allem ein nicht ungefährlicher Ritt auf einem Gaul nach Westen, der ihr z.B. mit dem Song „Dandelion“ nicht nur den Blues hinüber weht, sondern auch einen äußerst unaristokratischen Schal der Selbstironie um ihren zartblassen Hals wickelt. Sogar Prinzessinnen des 21. Jahrhunderts bekommen den Blues.
Das Album „IRM“ ist Ende 2009 bei Elektra erschienen.

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