Der Aushang am schwarzen Brett lässt dich stutzen. Der Gebetskreis lädt zu Kaffee und Kuchen. Als du überpünktlich Raum 103 erreichst staunst du erneut. Auf dem Flur warten schon einige Indie-Jünger, darunter etliche weibliche. Sie tragen diese konservative Schuluniform mit weißen Kniestrümpfen, und die haben dich schon immer ein bißchen spitz gemacht. Jetzt nur nicht auf falsche Gedanken kommen. Nicht den Anlass aus den Augen verlieren.
Die Jungs haben ihre Krawatten locker sitzen und wackeln ständig mit ihren Köpfen, um die Haare aus dem Gesicht zu schütteln. Popfrisuren sind halt schwer zu bändigen. Gebetsbücher siehst du keine. Wie aus dem Nichts bildet sich eine Gasse und John Darnielle erscheint. Der Indie-Prediger steckt also dahinter. Du erkennst ihn nur am „Mountain Goats“-T-Shirt. Seine jahrelange Erfahrung zeichnet sich durch einen Buckel aus. Die Heavy Metal-Geschichten und Schundromane haben nun der Bibel Platz gemacht. 12 Bibelstellen werden vertont. Du köpfst vor Beginn dein mitgebrachtes Weihwasser.
Alle versammeln sich nun im Seminarraum. Auf dem harten Fußboden ist für jeden Platz. John Darnielle schreitet mit seiner akustischen Gitarre durch die Menge und singt seine besinnlichen Reime. Die Anwesenden fühlen sich beschmutzt, fühlen sich schuldig in allen Sinnen der Anklagen. Einige beichten still und schwören allem Bösen ab. Sex ohne Liebe, Neid oder Habgier. Pfui!
Heimlich versuchst du den hockenden Mädchen unter den Rock zu gucken. Die Tür fliegt auf und Owen Pallett schwebt im Schneeziegen-Kostüm herein und verteilt seine Streicherarrangements wie Hostien unter die Leute. Nun weinen einige und schämen sich ihrer Sünden. Du betest für sie. Das verstimmte Schulpiano wird von einer Tutorin bedient. John Darnielle lächelt und phrasiert Emphase, die sogar durch deinen Angora-Pulli dringt.
Die Mädchen schminken sich ab. Sie wollen wieder natürlich aussehen. Du stiehlst ihre Kajal- und Lippenstifte. Dieses Teufelszeug könnte irgendwann noch mal gold wert sein. John Darnielle und seine Mountain Goats schließen ihren Lower-Point-Vortrag ab. Der Seminarraum bebt vor Glückseligkeit. Du wünschst dir versaute Spielchen mit einigen anwesenden Sünderinnen. Auf einmal ist alles vorbei. Die Massen erheben sich und verlassen das Gotteshaus.
Die Tutorin am Klavier sortiert noch ihre Notenblätter. Du schlenderst zu ihr rüber. Du schaust ihr tief in die Augen. „Lust auf was Verrücktes?“ Sie lächelt und nickt. Geile Zeiten brauchen Anstöße!
Erschienen bei 4AD