Staubtrockenes Gebäck wird von Angestellten gereicht. Es ist „Teatime“. Milch mit Zimmertemperatur wird mit goldenen Löffeln in geblümte Tassen gerührt. Kandierter Zucker steht in einem Luxustöpfchen auf dem mit einer klasse gebügelten weißen Tischdecke verziertem Holztisch. Das Licht wird gedimmt. Die anwesenden Damen stoßen ein Raunen aus. Natürlich hat die Hausdame auch eine musikalische Überraschung geladen. Die Unthanks betreten den Speisesaal.
Ein Piano wird von vier stark behaarten Männern herein getragen. Sie riechen bis hier. Die Damen wedeln mit ihren parfümierten Taschentüchern. Pöbel! Pfui!
Niopha Keegan legt ihre Violine an. Wo bleiben die Unthank-Schwestern? Pssst! Da ertönen aus dem Flur zwei Stimmen. Wahnsinn! Das 18. Jahrhundert bittet zum Tanz. Totentanz? Traditionals mischen sich mit Fremdkompositionen und wenigen eigenen. Wir trauen uns kaum zu atmen. Hier wird mit Leidenschaft musiziert und auf Chartstauglichkeit geschissen.
Dunkler, ja, fast schwarzer Folk treibt die Unthanks in den mit nordenglischen Farben bemalten Schiffsrumpf. Als blinde Passagiere reisen sie unbeachtet mit. Die Schiffscrew ahnt nicht, dass neben der Kombüse eine Band haust, die mit allen Wassern gewaschen ist. Doch der Dreck geht nicht runter.
Einzigartig in der Präsentation beleben die Unthanks das traditionsreiche Folk-Genre neu. Klagegesänge quälen uns und zeigen eine vergessene Verletzlichkeit, die schnell in Hass umschlagen kann. Die Geschichte ist unwiderrufbar. Menschen sind schuld an der Verrohung der Gesellschaft. Punkt. Nur die Holzbläser dürfen über uns richten. Wie ein lauer Wind ziehen die Unthanks an uns vorüber. Es riecht nach Schwefel und verbrannter Haut. Wer nicht alles schon gestorben ist…
Die Folk-Roots lassen dich stolpern, oder sind es Knochen? Der letzte Akkord verklingt. Die Unthanks verbeugen sich so tief, dass ihre Haare den Boden berühren. Die Teegesellschaft klatscht Beifall, wohlwissend, dass diese Musiker früher verbrannt worden wären. Doch jetzt hier im Speiseraum die Hexenjagd neu zu beleben, erscheint der Partygesellschaft zu anstrengend. So werden die Portemonnaies gezückt, und großzügig ein paar Pfund in den Geigenkasten geworfen. Wann kommt der Zauberer mit der zersägten Jungfrau?
Die Unthanks-Schwestern haben mit ihrer Truppe jegliche gute Stimmung zerstört. Danke dafür! Ich blute innerlich und tupfe mit einem Single Malt meine Wunden. „Here’s The Tender Coming“ gehört in jeden Eichenschrank; eine dunkle Schönheit mit Schlamm und Laub unter den Fell-Boots.
Jede Träne wird zu Recht verdrückt. Doch keine Angst, ich reiche dir ein mit meinen Initialen besticktes Taschentuch. Ich liebe dich…
Erschienen bei Rabble Rouser/Rough Trade