Not Available: KAAS – Amokzahltag :D (2009)

Am 11. März 2009 betritt Tim K. gegen 9:30 Uhr die Albertville-Realschule in Winnenden und erschießt neun SchülerInnen sowie eine Lehrerin. Auf seiner Flucht vor der Polizei erschießt Tim weitere Personen und richtet sich gegen 13 Uhr selbst, nachdem ihm die Beine weggeschossen worden waren.
Wie so oft geht die wahre Dramatik nach so einem Fall erst richtig los. Alle schreien. Und schnell werden Schuldige ausgemacht. Aus der linken Ecke wird auf den Vater verwiesen, der legal 15 Waffen sein eigen nannte und die Tatwaffe im Schlafzimmer aufbewahrte, statt diese ordnungsgemäß verschlossen in einem Waffentresor zu lagern.

Der strafrechtlichen Verfolgung entging er, indem er seine Waffen nach der Tat freiwillig abgab.
Und aus der rechten Ecke wurde wie so oft auf kulturelle Einflüsse verwiesen. Computerspiele, Filme. In „ungezählten Filmen und Computerspielen“ stünden extreme Gewalt, die Zurschaustellung zerstörter Körper und die Erniedrigung von Menschen im Vordergrund. „Sagt uns nicht der gesunde Menschenverstand, dass ein Dauerkonsum solcher Produkte schadet?“, mahnte Bundespräsident Köhler.
Und natürlich, wie so oft zuvor, kam dann auch die Musik. Nur diesmal war es nicht Marilyn Manson, auch nicht Rammstein, sondern KAAS. Eigentlich eine relativ kleine Nummer. Ein Rapper aus Reutlingen, der in der HipHop-Szene zwar einen gewissen Status genießt, aber dem Mainstream noch weitestgehend unbekannt war.  Im Januar 2009 kündigte der gläubige Rapper sein Soloalbum für den März an.  Titel: „Amokzahltag :D“. Als erstes Video zum Album entstand „Amok Zahltag“.  Ein Song aus der Sicht eines Amokläufers, der statt pauschal zu verurteilen, versucht in die verstörte Pubertät eines abgelehnten Jugendlichen reinzuschlüpfen. Im Clip wurden Szenen aus Peter Lenkeits Film „Amok“ verwendet.  Sich der kontroversen Aussage von Song und Clip bewusst, versah Kaas das Video mit folgendem Hinweis:
Ich möchte mit diesem Song Menschen dazu inspirieren, ihre Aggressionen in Kunst zu verwandeln, indem sie Bücher schreiben, Bilder malen oder auch Musikstücke über ihre Gefühle komponieren. Auf der anderen Seite möchte ich mit diesem Lied darauf aufmerksam machen, dass der Grund für diese Amokläufe der Mangel an Nächstenliebe in unserer Gesellschaft ist. Somit wäre es schön, wenn das Lied als Mahnmal gesehen wird, und als Erinnerung jedem Mitmenschen, aber ganz besonders den Aussenseitern unter uns, mit gütiger Liebe entgegen zu treten. Liebe ist die Lösung. Ich liebe Dich, dein KAAS
Dann kam der 11. März und die Medien. In der Sendung „Hart aber Fair“ wurden Ausschnitte des Videos gezeigt, auf den Hinweis am Anfang des Clips wurde selbstverständlich verzichtet. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundesfraktion Wolfgang Bosbach zeigte sich empört: „Das ist gewaltverherrlichend, das ist schwer jugendgefährdend.“
Und der Skandal war geboren. Weitere Medien griffen den Clip auf und KAAS an. Aus Pietät entfernte Chimperator, das Label von KAAS, die Videos und das Album, das am 20. März erscheinen sollte, wurden zurückgezogen. KAAS selbst äußerte sich erstmals Ende März gegenüber der Süddeutschen Zeitung: Er sehe kein Problem darin, dass Medien das Video kritisierten, beschwerte sich jedoch zu Recht über die, aus seiner Sicht, einseitige und unvollständige Berichterstattung.
Hätte man sich ein wenig mit dem Oeuvre von KAAS beschäftigt wäre klar gewesen, dass hier einer Liebe propagiert und das schon auf beinahe hippieeske Weise. Allein durch den Hinweis vor dem Video hätte dies klar sein müssen, doch der Rest seines Albums macht dies noch deutlicher. KAAS ist ein rappender Hippie voller Liebe.
Was sollte nun also mit dem Album gesehen? 3000 Exemplare waren gepresst. 3000 Cover gedruckt. Der Song „Amok Zahltag“ wurde durch ein neues Stück namens „Amok Nachtrag“ ausgetauscht, dass KAAS‘ Sicht der Dinge nochmal unterstreicht. Gleichzeitig verzichtete man darauf den alten Titel beizubehalten und KAAS gestaltete die Cover per Hand um.  Offiziell heißt das Album nun „The Album formerly known as Amok Zahltag :D“ oder kurz „TAFKAAZ :D“. Inoffiziell sollen die ersten 3000 Exemplare jedoch alle einen eigenen Titel bekommen haben. Wie z.B.: „Die Engel von Reutlingen“ oder „Der Romantiker“.

Erst Anfang August sprach die Staatsanwaltschaft Tübingen KAAS von allen Vorwürfen frei. Der Clip sei „nicht eindeutig gewaltverherrlichend“ und somit ist das Video durch die Kunstfreiheit geschützt, da der Rapper „Gewalt nicht als Lösungsmittel“ zeige.
„Amokzahltag :D“ in seiner ursprünglichen Version bleibt dennoch unveröffentlicht und stellt somit ein Novum vor. Nicht wegen rechtlichen oder künstlerischen Beweggründen wurde hier etwas nicht veröffentlicht. Sondern aus Pietät und Nächstenliebe. Fresst das, Medien!

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