Klassiker: Deep Purple – The Book of Taliesyn

Bevor Deep Purple begannen ihre Sänger zu wechseln wie der Knappe das rostige Kettenhemd und sie infolgedessen in den Untiefen des Hardrock Leck schlugen, experimentierte die Band mit Psychedelic, Pop und Folk. 1968 erschien ihr zweites Album „The Book of Taliesyn„. Da sang noch Rod Evans. Ein Mann, der in eine Liga mit Scott Walker und Tom Jones gehört. Er brachte mit seinem knödeligen Pathos einen der charakteristischen Eckpfeiler des Deep-Purple-Sounds jener Tage ein.
Für die Classic-Rock-Einflüsse sorgte – Master of Bombast himself – Jon Lord; der Archetyp des Hammondorgel-Tracteurs mit Donald-Sutherland-Moustache. Einst zog er aus, um als neobarocker Baron mit Lesliesound zu missionieren. Aus der Rückschau betrachtet wissen wir, wie grandios dieser Masterplan unter anderem in einer Co-Produktion mit dem Royal Philharmonic Orchestra scheiterte. Da half dann auch kein rosa Rüschenhemd mehr.
Doch vor dem Scheitern kam die Kür. Eines ihrer großen Talente jener Tage war die Fähigkeit zur besonderen Interpretation. Schon auf ihrem ein Jahr zuvor erschienenen Debutalbum hatten Deep Purple mit „Hush“ und „Help“ zwei schillernde Coverversionen geschaffen. „Hush“ bescherte ihnen den Eintritt in die amerikanischen Charts, „Help“ den Einzug in das progressive Musiklehrerseminar.
So wurde für „Book of Taliesyn“ ein Gerüst aus drei Coverversionen geflochten: „Kentucky Woman“ (Neil Diamond), „We can work it out“ (Beatles) und „River deep, Mountain high“ (Ike & Tina Turner) bildeten den Unterbau aus dem Stabilbaukasten eines mittelalterlichen Traumenglands. Ausgegossen wurden dieser durch einen von scheppernden Bandechos beflügelten Cinemascope-Psychedelic-Rock-Sound; unberechenbare Gitarrensoli, epische Orgel-Intros, fette Bässe und jede Menge Percussion. Rod Evans croonte was das Zeug hielt und Jon Lord und Ritchie Blackmore duellierten sich durch das Album, als kämpften sie um den heiligen Gral. Wenn der schon nicht zu finden war, so musste dieses furchtbare Missgeschick wenigstens mit einem vierstimmigen Streichersatz würdevoll zu Grabe getragen werden (Anthem). Natürlich ebenfalls mit Orgel-Gitarren-Duell.
Unvergessen bleibt auch die desillusionierte Kiffer-Lyrik von „Shield“ mit Anspielung auf „Lucy in the Sky with Diamonds„. Langsam wabern wunderbar ineinander geflochtene Hooklines bis sie in einem Percussion-Arrangement diffundieren. Schließlich das große 9-Minuten-Finale mit „River deep, Mountain high“: Jon Lord ergießt seine Orgel mit großen Pauken in eine nicht enden wollende Brachialouvertüre mit Also-Sprach-Zarathustra-Zitat (Richard Strauß). Selten war Psychedelisches bombastischer, harmonischer und geheimnisvoller. Und verzweifelter. Es liegt im Ohr des geneigten Zuhörers diesem fast manischen Classic-Rock-Eskapismus mehr oder weniger ironisches Potential zu zusprechen.
The Book of Taliesyn ist 1968 bei Harvest erschienen. Der Titel ist einer walisischen Sammlungen von Gedichten aus dem 14. Jahrhundert entlehnt.

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